Der Live-Shopping-Hype

Interessiert man sich für moderne und innovative Shopkonzepte, läuft man in einschlägigen Blogs immer wieder dem Thema “Live-Shopping” über den Weg. Auf Handelskraft wurde jüngst ein Ranking von 23 Live-Shopping-Anbietern in Deutschland veröffentlicht. Die Kollegen haben sich viel Mühe gegeben, dem ganzen einen seriös-statistischen Anstrich zu geben, obwohl sich das Sujet meinem Gefühl nach einer ernsthafteren Auseinandersetzung entzieht. Das fängt schon bei den Namen an: Wer kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, der einen Review über “weedoo”, “damagi” und “niboki” schreiben möchte? Wieviel vom Investoren-Frühstücksbrötchen landet wieder unzerkaut auf dem Teller (oder wird alternativ über den Tisch geprustet) wenn sich (jetzt einmal hypothetisch) in einer E-Mail das Team von “woogywoo” vorstellt? Und gab es einen Vokal-Rabatt bei der Namensfindung von “guut”, “jaahh” und “ibood”?

So vielfältig und – sorry – schwachsinnig diese Namen auch sind, so einheitlich ist die Geschäftsidee: Man bewirbt ein in der Menge begrenztes aktuelles Produkt für einen begrenztem Zeitraum, liefert so viele Produktinformationen (die teilweise von den Usern geliefert werden) wie möglich und bietet die Artikel zu scheinbar unschlagbaren Zugreif-Preisen an. Das Ganze wird mit grafischer Finesse und interessanten Themen (Mafia-/Verbrecher-Idee bei Schutzgeld, Ziege/Alm bei Preisbock) aufgepeppt. Die Konzepte sind dabei teilweise richtig gut gemacht und bieten per se keinen Grund zur Kritik (ganz im Gegenteil: man würde vielen etablierten “normalen” Shops ein paar Gramm dieser Spritzigkeit wünschen), es geht aber letztlich immer um den Abverkauf von Lagerbeständen.

Diese Sparte hat sicherlich ihre Daseinsberechtigung, und der Erfolg einiger dieser Portale (vor allem der Mutter aller Live-Shops, das amerikanische Woot) gibt den Gründern, Betreibern und Investoren sicherlich Recht. Sie ist bei allem Hype jedoch im besten Falle ein zusätzlicher Verkaufskanal für klassische Vollsortimenter und deren Onlineshops. Mir liegen zwar im Moment keine konkreten Zahlen vor, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Summe des generierten Gewinns durch die 23 vorgestellten Live-Shops marginal im Vergleich zu größeren Onlineshops ist. Natürlich vergleicht man hier Äpfel und Birnen, aber was das Medieninteresse an Live-Shopping angeht scheint hier der Schwanz ausdrucksstark mit dem Hund zu wedeln.

Zum Schluss noch eine These mit angeschlossener Frage: User, die schon einmal bei “weedoo” ihren Freunden “weedots” geschickt haben sind sicherlich bei weiteren zehn anderen Live-Shops angemeldet, schreiben mindestens einmal in der Woche einen Restaurantreview auf “qype”, einen Produktreview auf “ciao” und eine Buchrezension auf “amazon”, haben einen Account bei “facebook” und “studivz”, veröffentlichen ihre Bilder auf “flickr”, verwalten ihre Aufgaben bei “remember the milk”, beschenken sich via “edelight”, drucken ihre T-Shirts bei “spreadshirt” und ordern ihr individuelles Frühstück bei “mymuesli”. Wie viele User hat das Web 2.0 eigentlich?!

Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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