„Tea. Earl Grey. Hot.“ – Amazon und die Sternenflotte

Die ursprüngliche Crew der USS Enterprise – wir einnern uns, die mit Kirk, Spock und Scotty – war schon in der ersten Staffel technologischer Vorreiter. War man in der realen Welt der 60er noch mit Schreibmaschinen zugange, erledigten die Sternenflotten-Offiziere ihre täglichen Arbeiten mittels Tablet-artigen Geräten und kommunizierten mit dem allwissenden Bordcomputer mittels des omnipräsenten Codeworts „Computer“ (wie oft der Enterprise-Computer sich angesprochen fühlte, weil in lockerer Konversation „Computer“ gesagt wurde, ist leider nicht überliefert.)

Aber nicht nur Informationen über sonderbare Planeten und fremde Waffensysteme riefen Kirk & Co. auf diese Weise ab. Sie nutzen diese Art der Mensch-Maschine-Verständigung ebenfalls zu rein „privaten“ Zwecken, etwa wenn Captain Jean-Luc Picard zu seinem Replikator – einer Art 3D-Drucker für Lebensmittel – schritt und sich mittels des Kommandos „Tea. Earl Grey. Hot.“ sein Lieblingsgetränk bestellte. Alles in allem waren Bordcomputer und andere derartige Systeme auf der USS Enterprise allgegenwärtig. Niemand kam auf die Idee, lange Befehle einzutippen um beispielsweise eine interstellare Google-Suche zu starten.

Bleibt nur noch die interessante Tatsache hinzuzufügen (und dann sind wir mit dieser langen Herleitung auch durch), dass die meisten Lebewesen im Star-Trek-Universum das Thema Kapitalismus und Geldverdienen weitgehend hinter sich gelassen hatte – lediglich die Ferengi waren gierige Händlertypen, hatten jedoch große Ohren und fiese Zähne und reichten schon allein optisch, geschweige den moralisch, nicht an die idealistischen Offiziers-Helden in ihren schicken Uniformen heran. Technologie – folglich auch der allgegenwärtige Computer – war ein der Allgemeinheit nützliches Gut und diente allein dem Zweck, das galaktische Leben so komfortabel wie möglich zu machen.

Star-Trek-Technologie im 21. Jahrhundert

Heutige Anwender nutzen  einen Teil dieser Technologie bereits. Die Rede ist hier von den kleinen Akustik-Interfaces, die als Googe Assistant, Microsoft Cortana, Apple Siri und allen voran natürlich Amazon Echo derzeit Furore machen. Die Grundidee: Wie auf der Enterprise wird eine Technologie verwendet, die akustische Befehle in natürlicher Sprache verstehen und bestimmte Aktionen ausführen kann. Verknüpft man die entsprechenden Apps, lesen die  Geräte Wetterberichte vor, regeln die Heizungstemperatur, spielen Musik oder, wie im Fall von Amazon, lassen die Benutzer Produkte in den Warenkorb legen.

Das klingt erst einmal nach einer guten Idee. Das Fernsteuern seiner digitalen Welt per Stimme ist sehr viel schneller und natürlicher, als sein mobiles Gerät zu zücken und dort herumzuwischen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es beispielsweise für blinde bzw. ähnlich eingeschränkte Menschen eine große Erleichterung ist, Technologie auf diese Weise zu nutzen. Und letztlich nutzen wir bei commercetools diese Geräteklasse auch, um zu verdeutlichen, wie wichtig eine API für den Handel der Zukunft sein wird  – diese unterscheidet nämlich nicht, ob eine eingehende Bestellung aus einem Webshop, einer mobilen App oder eben aus einem Gerät wie Echo & Co. stammt.

Amazon lauscht immer (oder: der Paranoia-Absatz)

Es könnte also alles gut sein, wenn mir nicht neulich dieser kleiner Satz von der offiziellen Amazon-Echo-Produktseite aufgestoßen wäre:

Tucked under the light ring is an array of seven microphones that use beam-forming technology and enhanced noise cancellation. With far-field voice recognition, Echo can hear you ask a question from any direction—even while playing music.

Wir haben da also ein Gerät, das mit sieben Mikrofonen Sprache selbst bei schwierigen akustischen Bedingungen empfängt und interpretiert. Das in unserer Wohnung steht, mit dem Internet und unserem persönlichen Amazon-Konto verbunden ist. Und das immer aktiviert ist, weil es ja auf das Code-Wort „Alexa“ hören muss. Merkt Ihr schon, oder?

An Kameras haben wir uns mittlerweile gewöhnt, im Smartphone tragen wir sie mit uns herum, am Rand des Notebooks schauen sie uns an. Doch zumindest haben wir das Gefühl einer Kontrolle, weil man die Linsen noch sieht und gegebenenfalls abkleben kann – wie Mark Zuckerberg jüngst in diesem bekannten Foto.

https://www.hackread.com/wp-content/uploads/2016/06/Mark-Zuckerberg-Tape-Facebook-Instagram-1-796x398.jpg

Mikrofone hingegen sind unsichtbar und nehmen Töne komplett unbemerkt auf. So geschehen etwa vor knapp zwei Jahren bei Samsung SmartTVs, die ebenfalls Gespräche aufgenommen und die Daten an ihre zentrale Spracherkennung geschickt hatten.

Amazon argumentiert, dass sein Echo Sprachdaten nur dann versendet, wenn die Übertragung durch das Code-Wort tatsächlich gestartet wird. In der Tat hat das Unternehmen, was Datensicherheit angeht, einen sehr guten Leumund – nicht umsonst betreibt gefühlt die ganze Welt ihre Applikationen auf der AWS-Infrastruktur. Der Software im Echo wird von Sicherheitsexperten bislang ein gutes Zeugnis ausgestellt und ein Auseinandernehmen des Dash-Buttons für den vergangenen 33C3 hat ebenfalls keine gravierenden Sicherheitslücken zutage gefördert. Trotzdem bleiben drei Punkte, die jeder bedenken sollte, der sich einen Echo in die Wohnung stellt.

  1. Je mehr dieser Geräte verkauft werden (nach diesen Angaben sind bereits mehr als 5 Millionen davon über die Ladentheke gegangen), desto attraktiver werden sie als Ziel für Hackerangriffe bzw. desto wertvoller werden damit im Zusammenhang stehende Zero-days.
  2. Auch von staatlicher Seite entwickeln sich naturgemäß Befindlichkeiten: Es braucht nicht viel Fantasie sich vorzustellen, dass im Rahmen der Ermittlungen von Straf- und Sicherheitsbehörden auch eine Überwachung über Echo & Co. angeordnet wird – der versuchte Zugriff des FBI auf die Sicherheitsinfrastruktur des iPhone ist uns allen noch gegenwärtig.
  3. Als Wirtschaftsunternehmen ist Amazon seinen Anteilseignern verpflichtet, das Überwinden von Kommunikationshindernissen sowie das Ermöglichen von Teilhabe ist nicht das erste Unternehmensziel. Und wenn sich durch Weitergabe und besondere Auswertung von Sprachdaten der Weg zur ersten trillion dollar company der Wirtschaftsgeschichte ebnen lässt -warum nicht?

 

Fazit

Zugegeben, das war ein ungewöhnlich tiefer Griff in die Paranoia-Kiste  – ungewöhnlich auch deswegen, weil ich selbst ansonsten eher offen mit meinen Daten umgehe und mich täglich mit einem hübschen Zoo an Gadgets umgebe. Trotzdem habe ich das Gefühl, dem teilweise unreflektierten Fanboyism der Branche allgemein und einiger Experten-Kollegen im Besonderen etwas entgegensetzen zu müssen – freue mich über einen regen Gedankenaustausch. Ach, wenn nur Jean-Luc das lesen könnte …

Kaffee. Schwarz. Bitte!

Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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