Technische Analyse: AO und Galaxus

Unsere Analyse verschiedener Vertreter für Consumer Electronics – vor allem MediaSaturn – vor einigen Wochen hat viele Leser gefunden. In diesem Zusammenhang haben wir uns besonders gefreut, dass sich Atul Bhardwaj, CTO von MediaSaturn die Zeit für einen Podcast mit uns genommen hat, um die fehlenden Puzzleteile der Analyse von Europas größtem Elektronikhändler zu ergänzen. An dieser Stelle ist “ergänzen” ein gutes Stichwort, denn wir möchten diese Analyse gerne ausweiten und hier zwei Anbieter betrachten, die ihren Ursprung nicht in Deutschland haben. Das sind zum einem AO World aus Großbritannien mit ihrem Shop ao.de und Digitec Galaxus aus der Schweiz mit ihrem jungen Ableger galaxus.de, die wir uns im Folgenden gerne näher ansehen möchten. Wie immer beginnen wir mit einem kurzen historischen Abriss.

Die Anfänge

AO wurde 2001 als “Appliances Online” in Großbritannien gegründet, erwarb 2009 ein eigenes Logistikunternehmen und sorgte damit frühzeitig für ein besonderes Alleinstellungsmerkmal, das bis in die heutige Zeit hinreicht. Denn das Unternehmen, das seit 2013 unter ao.com online seine Produkte verkauft, liefert diese mit seiner eigenen Lieferflotte von Lieferwagen aus – wenn man weiß, dass AO sein Geschäft in den Anfängen vor allem mit Waschmaschinen und Kühlschränken, also “weißer Ware” bestritten hat, ist diese Entscheidung nachvollziehbar. Im Jahr 2014 ging das Unternehmen an die Börse, ebenfalls in diesem Jahr erfolgte der Start in Deutschland. AO World, so der vollständige Name des Unternehmens, erzielt nach eigenen Angaben einen Umsatz von mehr als €880m.

Digitec, der Vorläufer bzw. die Konzernschwester von Galaxus wurde 2001 in der Schweiz gegründet und hat sich auf den Verkauf von Consumer Electronics spezialisiert. Im Jahr 2012 kam mit galaxus.ch ein Online-Vollsortimenter mit zuletzt über 2 Millionen Artikel hinzu. Seit 2015 firmiert das Unternehmen unter dem Namen Digitec Galaxus AG und gilt als größter Online-Händler in der Schweiz (in der Amazon nicht aktiv ist), mit einem Umsatz von rund €770m (CHF 870m) im vergangenen Jahr. Seit November 2018 ist der Händler auf dem deutschen Markt unter galaxus.de als “Beta-Version” mit einem kleinen, 50.000 Produkte umfassenden Elektroniksortiment aktiv. Laut des Gesprächs mit dem Head of Product & UX von Galaxus, Tobias Quelle-Korting bei Kassenzone werden nach und nach Funktionen freigeschaltet, wie etwa der Marktplatz, Personalisierung und eine Resale-Möglichkeit für gebrauchte Produkte.

Interessant dabei ist, dass Galaxus in der Schweiz als Vollsortimenter operiert, und es die Schwesterseite Digitec ist, die sich auf Elektronik konzentriert. Die Tatsache, dass es seit wenigen Wochen ein deutsches Galaxus gibt, weist darauf hin, dass der CE-Markt für das Unternehmen hierzulande nur der Einstieg ist, und es in Zukunft eher mit der OTTO-Gruppe im Wettbewerb stehen wird.

Technische Analyse

Beide Anbieter setzen allem Anschein nach nicht auf Standardsoftware, sondern nutzen Eigenentwicklungen für die transaktionalen Teile. Bei AO erkennt man, dass viele Komponenten, insbesondere bezüglich Marketing und Analyse, von Adobe bereitgestellt werden. Wo genau das Unternehmen seine Server betreibt, ist nicht ersichtlich, AO ist ein Kunde des Reverse-Proxy-Anbieters Cloudflare.

Galaxus kommuniziert offen, dass es sich bei ihrer Lösung um eine komplette Eigenentwicklung handelt. Die Teams arbeiten mit einem .NET-Framework, C# als primärer Programmiersprache und einer MSSQL-Datenbank im Hintergrund. So wie es aussieht, ist das System als Multimandanten-Plattform aufgesetzt, steckt hinter galaxus.ch und digitec.ch und jetzt auch galaxus.de. Bezüglich Hosting folgt man derzeit einem dualen Ansatz, Mitgründer und CIO Oliver Herren schreibt:

Daher werden neue Services nur noch in der Cloud entwickelt. Auch wenn wir einen Bereich überarbeiten, wird soweit möglich alles auf die jeweils optimale Cloud-Plattform verschoben. Aktuell haben wir bereits einzelne Services auf der Google Cloud Platform, auf Microsoft Azure und dazu noch Elastic im Einsatz. Dazu werden alle Teile der Applikation, die noch nicht angepasst wurden, weiterhin On-Premise in unseren Dual Datacenter betrieben. Mehr hybrid geht nicht. Was auch begründet, warum DevOps viel wichtiger geworden ist und in Zukunft noch wichtiger wird. Denn in der Cloud wird die Infrastruktur ein Teil der Applikation.

Ladezeiten

Laut Google Lighthouse bekommt ao.de beim Zugriff über mobile Geräte einen Speed-Score von 65 bzw. einem FCP von 2,6 Sekunden, was man als durchschnittlich bezeichnen kann.  In der Desktop-Ansicht sieht es etwas besser aus, der Score liegt bei 80 und einem FCP von 2,4 Sekunden.

Bei galaxus.de ergibt sich ein ähnliches Bild, mobil liegt der Score bei 32 und einem FCP von 2,2 Sekunden mobil, Desktop mit einem beachtlichen Score von 97 und einem FCP von 1,8 Sekunden, also um einiges schneller.

Interessant hier ist, dass im Fall von galaxus.de die Lighthouse-Analyse auf eine PWA deuten lässt, Service-Worker werden beispielsweise registriert. Im Test konnten wir Funktionen wie Push-Notifications oder Offline-Browsing noch nicht testen, möglicherweise stehen die Schweizer damit aber schon in den Startlöchern.

Suche

Der Hang zur Eigenentwicklung führt sich auch bei der Produktsuche fort, beide Anbieter nutzen keinen erkennbaren kommerziellen Suchservice. Während das bei Galaxus gut funktioniert und die eingesetzte Elasticsearch schnell relevante Ergebnisse zeigt – und das nicht nur im Produktkatalog, sondern auch im sogenannten Magazin und in der Community – dreht die Suche von AO im Test völlig frei und präsentiert ziemlichen Quatsch, wie man unschwer auf den Screenshots erkennen kann:

suche-ao
AO: Wenn Staubsauger als Kühlschränke gelten
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Möglicherweise versteckt sich ja in diesen Geräten eine Kamera?

Man kann wirklich nur hoffen, dass diese Ergebnisse nur das Resultat einer unglücklich gelaufenen Daten-Synchronisation sind – Begeisterungsstürme wird man bei solch peinlichen Fehlern bei seinen Benutzern sicher nicht auslösen.

Layout

Was das Layout angeht, liegt hinter beiden Anbietern ein responsive Design, das die Inhalte auf allen Formfaktoren gleichmäßig verteilt – separate Stylesheets für verschiedene Geräteklassen sind (bis auf eine Ausnahme bei AO, siehe unten) nicht erkennbar. Damit hören aber die Gemeinsamkeiten auf. AO präsentiert sich so, wie man sich einen Consumer-Electronics-Webshop vorstellt: Großflächig, mit dominierenden Bannern, beim ersten Öffnen der Startseite lockt ein Layover, das einen 5-Euro-Rabatt anpreist.

Eine Besonderheit bei Desktop und Tablet-Auflösung ist ein Wunschgerät-Finder.

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Bei AO schnell das Wunschgerät finden

Kunden geben ein paar grundlegende Informationen an und das System sucht nach den passenden Produkten. Das geht schnell und intuitiv, nach einem Klick auf “Auswahl anzeigen” erreicht man eine Kategorieseite, bei der die jeweiligen Filter schon vorausgewählt sind und die Produktauswahl entsprechend eingeschränkt ist. Fun-Fact an dieser Stelle: die Kategorieseite ist nicht responsiv – hier gibt es tatsächlich eine Extra-Mobil-Version.

Ganz anders die Schweizer: Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man annehmen, dass galaxus.de gar kein Webshop ist, sondern eher ein unaufgeregt gelayoutetes Elekronik-Blog. Auf der Startseite gibt es keine Angebote und keine Preise. Lediglich die Suchfunktion, die Kategorien links und das Warenkorbsymbol rechts oben lassen darauf schließen, dass man hier tatsächlich einkaufen kann.

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Ein Webshop, der wie ein Elektronikmagazin aussieht

Erst nach einem Klick auf den oberen Hero-Banner etwa öffnet sich eine Produktliste, über die Besucher dann auf die Produktdetailseiten springen können. Über den Kategoriebaum links, der sich mobil ganz klassisch unter dem Hamburger-Menü versteckt, erreicht man die filterbaren Kategorieseiten.

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Bei Galaxus hilft die Community

Überhaupt verfolgt Galaxus eine sehr Content-orientierte Strategie, das selbst entwickelte System muss demzufolge auch erweiterte CMS-Qualitäten mitbringen. Eine Redaktion von ca. 20 Autoren und Autorinnen schreibt zu verschiedenen relevanten Themen wie etwa Fotografie oder Smartphones. Natürlich verlinken diese Artikel auf passende Produkte oder Kategorien, aber das scheint kein Zwang zu sein: In einem Beitrag mit dem Titel “Gratis-Office: Es muss nicht immer Microsoft sein” schreibt der Autor über Open-Source-Alternativen wie OpenOffice oder LibreOffice. Das ist weniger gut für den Umsatz, aber sicher besser für die Glaubwürdigkeit.

A propos Glaubwürdigkeit: Neben dem Magazin setzt Galaxus auf seine eigene Community, in der Themen und Produkte diskutiert werden – auch durchaus kritisch. Besucher können auf den Detailseiten neben einer Produktbewertung auch einen Kommentar für diese Community hinterlassen und darüber diskutieren. Laut Tobias Quelle-Korting würden aufkommende Fragen in 3 von 4 Fällen von den Usern direkt beantwortet. Insgesamt wird damit eine Menge User Generated Content erzeugt, der zusammen mit den redaktionellen Inhalten ein breites Informationsportfolio darstellt und nebenbei auch gutes Crawling-Futter für Suchmaschinen sein dürfte.

Checkout

Die Unterschiede zwischen AO und Galaxus findet man auch im Bestellprozess wieder. Bei Galaxus gibt es einen klaren, dreistufigen Prozess, in dem man übersichtlich seine Daten hinterlässt. Zahlungsarten sind Kreditkarte, Lastschrift, Sofortüberweisung, Ratenkauf, Rechnung und Paypal – und bis auf die Tatsache, dass Bestellungen fast ohne Adressprüfungen durch das System gehen, ist das eine solide Lösung.

Ganz anders bei den Schweizern: Klickt man sich durch den Bestellprozess, fühlt man sich unweigerlich an ein überambitioniertes, mittelgroßes Einwohnermeldeamt erinnert, das sämtliche Formulare online stellt, um bei diesem Digitalisierungsdings endlich mal mitzumachen. Gefühlt muss man viele Daten auf einmal eintragen, sich dabei zwischen Privat- und Firmenkunde entscheiden, Gastbestellungen sind nicht erlaubt, und immer wieder muss man seine Aktionen über einen besonderen Button zwischenspeichern.

Das ist umständlich, unnötig, und es würde uns nicht wundern, wenn an dieser Stelle im Prozess die meisten potentiellen Käufer genervt aussteigen.

Weitere Kanäle

Zum Schluss schauen wir uns die weiteren Einkaufskanäle an. Beide Anbieter sind nicht als Skills bei Alexa oder Google Home vorhanden. AO hat bei Instagram nur einen internationalen Account mit derzeit 14.000 Followern, und zeigt vor allem Home & Living-Szenen, die teilweise getagged sind. Galaxus gönnt sich mehrere Accounts: die Deutschland-Variante hat ca. 100 Abonnenten, in der Schweiz sind es gut 2.000. Digitec hat 5.500 Follower und tagged seine Posts vereinzelt. Facebook scheint ein sehr wichtiger Bestandteil der Social-Media-Strategie von AO zu sein, der deutsche Account kommt auf 1,8 Millionen Follower, die sich regelmäßig die Live-Videos, Produkttipps und Aktionen ansehen.

Knapp 2 Millionen Fans bei Facebook

Galaxus ist ebenfalls mit einem Account vertreten und teilt Produktinformationen, Tutorials, Tipps zur Shop-Nutzung und Informationen zum Deutschland-Start mit 42.000 Followern, Digitec tut Ähnliches für seine mehr als 60.000 Follower. Ein anderes Bild bei Twitter: AO arbeitet in Deutschland mit 80 und im Heimatmarkt für 65.000 Follower und nutzt diesen Kanal primär für Supportanfragen. Galaxus Deutschland erreicht 50 Follower, Galaxus Schweiz 3.800, bei Digitec sind es 19.000.

Fazit

Mit AO und Galaxus haben wir es mit zwei sehr unterschiedlichen Konzepten zu tun; zwar wurden beide um die selbe Zeit gegründet und bauen ihre eigenen Technologie-Stacks, gehen aber den hiesigen Elektronikmarkt ganz anders an.

AO ist ein Webshop klassischer Bauweise und rein optisch und funktional durchaus mit MediaSaturn oder Notebooksbilliger zu vergleichen. Der Produktfokus auf größere Haushaltsgeräte findet sich auch in der UI, vor allem mit dem Produktfinder, der den Kauf von Waschmaschinen, Kühlschränken und Küchenherden einfacher machen soll. Und möglicherweise wird dieses Tool auch so gut angenommen, dass AO die Suche etwas vernachlässigt oder vernachlässigen kann – deren Ergebnisse sind, wie unser Test gezeigt hat, schlicht und einfach haarsträubend. Die Website lässt sich mobil gut bedienen, nur bei der Kategorieseite schimmert noch ein wenig das Desktop-Erbe durch. Über Letzteres können wir nur spekulieren, AO World hält sich beim Blick hinter die technischen Kulissen, sehr bedeckt.

Galaxus geht die Sache gänzlich anders an. Bei den Schweizern steht der Content an erster Stelle, in Form von redaktionellen Beiträgen und einer aktiven Community, die scheinbar nicht (nur) aus SEO-Alibi-Gründen existieren, sondern Kunden aktiv unterstützen und somit zu mehr Kundenbindung führen. Über diese Kanäle kommuniziert auch das Tech- bzw. Digital-Team mit Interessierten – dankenswerterweise sehr offen –  etwa darüber welche Technologie Digitec und Galaxus einsetzen oder wie sie ihre Arbeit strukturieren. Mobil lässt sich die Website gut bedienen, einzig der gefühlt komplizierte Checkout hat den Testern etwas den Spaß an der Galaxus-Shopping-Tour getrübt; möglicherweise ist das dem frühen MVP-Stadium geschuldet und wird in den nächsten Monaten noch glattgezogen.

Zwei Anbieter, zwei Philosophien, ein hart umkämpftes Marktsegment: Wir schauen weiter interessiert wie sich beide Anbieter entwickeln und welche Antworten die hiesigen Platzhirsche geben werden.



Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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