17. September 2024
crop farmer showing money in green summer field in countryside
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Was bedeutet die Finanzierungsrunde für Shopware?

Es ist die komplett unerwartete Mega-Neuigkeit dieses noch jungen Shoptech-Jahres: Shopware erhält eine 100-Millionen-Finanzierung von Paypal und Carlyle. Vor einigen Wochen bei unseren Prognosen für 2022 waren wir noch sicher, dass so etwas sehr unwahrscheinlich ist, haben die Hamann-Brüder doch seit Jahrzehnten immer das „bootstrapped“-Credo ihres Unternehmens hervorgehoben. Jetzt ist es also passiert, die Branche spricht derzeit über nichts anderes, und auch von unserer Seite Herzlichen Glückwunsch ins Münsterland!

Lasst uns kurz etwas aufdröseln, was genau dort passiert ist und welche Entwicklungen wir möglicherweise in Zukunft sehen werden. Fangen wir mit den Investoren an: Carlyle ist ein börsennotiertes Private-Equity-Unternehmen mit Sitz in Washington, Paypal bedarf keiner gesonderten Vorstellung; es ist eine der weltweit bekanntesten Payment-Lösungen, die sich jetzt einen Anteil an einer E-Commerce-Plattform sichert.

Eine kleine Geschichtsstunde

Den Veteranen unter den Leser:innen wird bei dem Namen „Paypal“ vielleicht ein Licht aufgehen, denn vor langer Zeit hatte das Unternehmen schon einmal mit einem Shop-System angebandelt; und ein Blick in die Vergangenheit hilft uns möglicherweise auch, das aktuelle Geschehen rund um Shopware besser einzuordnen.

Damals um das Jahr 2011 gehörte Paypal noch zu eBay und hatte sich in dieser Kombination Magento einverleibt. Die Motivation hinter diesem Schritt war damals vermutlich, dass man den eBay-Powersellern eine (hauseigene) Software anbieten wollte für den Fall, dass sie sich weiter professionalisieren wollten – zusammen mit einer etablierten Payment-Lösung. Mit dieser Akquise hat sich eBay damals quasi über Nacht eine große Portion neues GMV eingekauft. Wie wir alle wissen, ging das nicht lange gut. Der amerikanische Handelskonzern auf der einen und die noch junge, durch OpenSource gewachsene Software wurden sich nie richtig grün, sodass 2015 folgerichtig Magento wieder verkauft wurde, drei Jahre unabhängig war, bis es 2018 erneut von einem Konzern gekauft wurde, nämlich Adobe. Und auch im aktuellen Fall ist zu beobachten, dass diese beiden Geschäftsmodelle nicht so harmonieren, wie sich viele erhofft hatten – um es ganz vorsichtig zu formulieren.

Spannungsfeld OpenSource

Magento war 2008 als OpenSource-Software gestartet, und alle Entwickler:innen weltweit, die seinerzeit mit Software wie osCommerce herumkrebsen mussten konnten gar nicht glauben, dass es so viel Funktionalität und Flexibilität unter einer OpenSource-Lizenz gab. Ausgehend zu einem großen Teil in Deutschland hat sich eine sehr engagierte internationale Community gebildet, die die Software verbreitete, weiterentwickelte und sich vernetzte. Aber während das Ökosystem in Magentos Rückenwind immer erfolgreicher wurde, vormals kleine Typo3-Agenturen in kurzer Zeit ambitionierte E-Commerce-Projekte stemmten und zu großen Playern wurde, hatte das hinter Magento steckende kalifornische Unternehmen Varien zunehmend ein Monetarisierungsproblem. Um dem zu begegnen, wurde die Enterprise-Version ins Leben gerufen, später erfolgte dann der Verkauf an eBay.

Bei dieser Transaktion trafen Welten aufeinander. Auf der einen Seite ein börsennotierter digitaler Handelskonzern aus der ersten Internetwelle, auf der anderen Seite ein mittelständisches Unternehmen, das durch seine OpenSource-Strategie eine weltweite Bekanntheit erlangt hatte und quasi zum default für Webshops weltweit wurde. Die einen verstanden nicht, warum die anderen freiwillig komplexe Softwareprobleme lösten und Code verschenkten, die anderen waren ratlos, weil die einen ihren Lebensunterhalt mit dem Bauen von PowerPoints und Entwickeln von 3-Jahres-Prognosen in Excel verdienten. Zwar bemühte man sich nach Kräften, diese unterschiedlichen Stränge unter einen Hut zu bringen und gemeinsame Produkte zu etablieren, aber die Trennung in 2015 war (aus heutiger Sicht) unvermeidlich.

Diese Polarisierung mag auch der Grund für Jochens skeptische Einschätzung gewesen sein, mit dem Einstieg als strategischem Partner habe Shopware nun die Kontrolle über seine Strategie abgegeben und würde sich in eine ähnliche Richtung entwickeln wie Magento ein Jahrzehnt zuvor. Und natürlich ist die Frage berechtigt: wie frei kann Shopware noch agieren, wenn in Zukunft Messgrößeren wie Payment-Transaktionsvolumen immer wichtiger wird?

Shopware selbst ist urspünglich nicht als OpenSource-Software gestartet. Zwar stellten die Schöppinger im Jahr 2010 – also sechs Jahre nach dem Release ihrer ersten Version – eine kostenlose Community-Edition vor, sie vertreiben aber weiterhin verschiedene kommerzielle Versionen ihrer Software.

Wo und wie wird investiert?

Neben der strategischen Ausrichtung interessant ist natürlich die Frage: was passiert mit dem Geld? Shopware hat laut Pressemeldung von Carlyle zwei Themenfelder im Blick, nämlich Produktinnovation und Internationaliserung.

Produktseitig hat Shopware 2019 den sehr ambitionierten Schritt gewagt, mit Shopware 6 eine komplett neue Version auf die Beine zu stellen, um technisch modernen Anforderungen zu genügen. Außerdem hat man ein Cloud-Produkt aus der Taufe gehoben und bietet es neben seinen On-Premise-Versionen an. Aus meiner Perspektive hat das Cloud-Produkt (noch) nicht den Erfolg, den man sich erhofft hatte und die Entwicklung der Kern-Software ist auch komplexer als erwartet. Ich könnte mir vorstellen, dass man hier konsolidieren möchte.

Außerdem wird man sich auf das Erschließen neuer Märkte konzentrieren. Die Wachstumsmöglichkeiten im Heimatland sind beschränkt (woran möglicherweise das Wirken einer kleinen kanadischen Software-Manufaktur ihren Anteil hat), sodass sich Shopware vor allem auf Nordamerika konzentrieren wird. Die personellen Voraussetzungen dazu sind auf jeden Fall geschaffen.

Ich bin skeptisch, ob und wie Shopware das OpenSource-Dilemma auflösen wird. Cloud-Anwendungen dominieren den internationalen Markt und ich halte es für schwer vorstellbar, dass die Investoren perspektivisch viele Ressourcen in die Weiterentwicklung von On-Premise-Software investieren. Möglicherweise werden wir eine Auftrennung des Unternehmens sehen – Cloud auf der einen, einen OpenSource-Inkubator (oder gar eine Stiftung?) auf der anderen. Oder Shopware hat eine andere „secret sauce“, um die On-Premise- und Cloud-Welt zu verbinden und den „OpenSource-Spirit“ nicht zu verlieren. Sicher ist: die Hamann-Brüder sind smart, denken langfristig – sind aber auch immer für eine Überraschung gut. Quod erat demonstrandum!


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Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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