Rezension: Das E-Commerce Buch

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Mit Alexander Graf (Kassenzone, Spryker) und Holger Schneider (FH Wedel) legt die Prominenz des erweiterten Hamburger Handels-Klüngels ein Buch über den E-Commerce vor. Mit dem Titel Das E-Commerce-Buch bescheiden und defensiv positioniert (das muss die berühmte hanseatische Zurückhaltung sein) besteht es aus einer Reihe von Texten und Materialien, in denen sich die Autoren dem Phänomen E-Commerce von mehreren Seiten nähern und sowohl Einsteigern als auch Fortgeschrittenen einen Überblick gewähren wollen. Meines Wissens ist ein solches Buch auf dem deutschen Markt überfällig und ich war umso gespannter, als ich das Rezensionsexemplar in Händen hatte.

Prägnante Einführung

Im ersten Kapitel „E-Commerce: Was bisher geschah“ lassen die Autoren die letzten Jahre im Online-Handel Revue passieren und teilen diese in einzelne Phasen auf. Für diese Phasen bewerten die sie dann aus verschiedenen Perspektiven – beispielsweise aus der eines Online-Marktplatzes, eines Katalog-Versenders, eine Herstellers etc. – wie sich der Markt entwickelt und welches Potenzial es gab bzw. gibt.

Vermittelt wird dieser Überblick mithilfe eines prägnanten Ampel-Systems und angenehm komprimierten Beschreibungen. Am Ende wagen die Autoren auch einen Blick in die Glaskugel und sagen für 2020 vor allem starke Marktplätze und Hersteller voraus. Die Einführung ist im Grunde destillierte Kassenzone und bietet damit sicherlich den meisten Zündstoff für Diskussionen mit Stationären und Multichannel-Anbietern.

Der akademische Teil

Im Anschluss folgt mit den „Wertschöpfungsstufen im E-Commerce“ das mit Abstand längste Kapitel des Buchs. Hier geht es sozusagen im Schweinsgalopp durch alle Themen, die man heutzutage mit E-Commerce und Online-Marketing assoziiert. In einem Rundumschlag werden der Aufbau von Shop-Frontends, Zahlungssysteme und Logistik, Sortimentserstellung und -pflege sowie sämtliche Spielarten des Marketings mit Onpage- und Offpage-Maßnahmen, -Strategien und -Tools beschrieben.

Verwirrend fand ich hier zum einen die Tatsache, dass sich lange, über viele Seiten erstreckende Textpassagen, in denen alles unterstrukturiert und mit Terminologie angefüllt wird, was nicht bei drei auf den Bäumen ist (ein Phänomen, mit dem hiesige Universitätsliteratur oft zu kämpfen hat) abwechseln mit spitz formulierten, knackigen Passagen, die Händler direkt ansprechen und auch den Rezensenten mehrmals zum Schmunzeln gebracht haben. Außerdem ist die Detailtiefe in einzelnen Abschnitten sehr unterschiedlich: Wenn auf der einen Seite über Mehrkanalstrategien und predictive behavioral targeting gesprochen wird, und man nach dem Umblättern erfährt, wie eine E-Mail-Adresse für den Kundenservice aufgebaut werden sollte, stellt man sich schon die Frage, für wen diese Texte genau geschrieben wurden.

Kurz gesagt, das Kapitel ist sehr relevant, sehr richtig, hat aber kein durchgehendes didaktisches Konzept bzw. keine klar definierte Zielgruppe.

Beispiele aus dem wirklichen Leben

Waren die Textwüsten aus dem vorherigen Teil ein wenig ermüdend, folgen anschließend 25 sehr (!) erfrischend zu lesende Case Studies, in denen die Geschäftsmodelle von Unternehmen wie Amazon, Cyberport, Media-Saturn und Zalando jeweils auf einer Doppelseite systematisch beschrieben werden. Basis für die Beschreibung ist ein Business Model Canvas, der eine sehr komprimierte betriebswirtschaftliche Betrachtung erlaubt.

Man wünscht sich mehr davon, viel mehr, in Blogs und Podcasts und sonstwo, Dankeschön 🙂

Zum Schluss ein Schuss Praxis

Komplettiert wird das „E-Commerce Buch“ durch einen Praxisteil. Dieser enthält zum einen einen kleinen Exkurs in die E-Commerce-Strategie-Entwicklung, sowie eine Entscheidungshilfe zum Thema Shopsystem-Auswahl, die sich an dem orientiert, was Alex schon im letzten Jahr dazu gebloggt hatte und die dankenswerterweise darauf verzichtet, einen mit Feature-Katalogen verstopften Einordnungsversuch zu unternehmen. Nach einigen Bewertungskriterien für PIM-Systeme folgen noch zwei ausführlichere Interviews mit Florian Heinemann (Project A) und René Köhler (internetstores / fahrrad.de), die sich unter anderem um die Frage drehen, wie sich der E-Commerce in den letzten 15 Jahren geändert hat und welche Modelle in Zukunft Bestand haben werden.

Fazit

Eins vorweg: ich habe mich durch das Buch sehr gut unterhalten und informiert gefühlt. Man merkt deutlich, dass hier Einiges an Sachverstand und Erfahrung eingeflossen ist. Unsicher bin ich mir, welche Zielgruppe das Buch haben soll bzw. welchen Kunden/Bekannten ich denn damit beschenken würde.

Sowohl der kurze Rückblick in die Geschichte des E-Commerce als auch die Einschätzungen in den Case Studies sind wie angesprochen Kassenzone pur, stimmig hergeleitet aber auch bewusst polarisierend. Es ist nicht schwer, sich stationäre Händler und Multichanneler vorzustellen, die ein Diagramm mit der Aussage „Stationär – verdrängt“ (S. 36) nicht unkommentiert hinnehmen werden.

im Theorie-Teil werden Amazon, Otto und Zalando oft erwähnt und in unterschiedlichen Aspekten als „best-in-class“ dargestellt; Anbieter, die eine Größe haben, die diese Art von Benchmarks praxisrelevant werden lässt, haben vermutlich (hoffentlich) das Wissen, das in diesem Teil aufgearbeitet wird. Für diese Zielgruppe spricht auch die Auswahl der beiden Interviewpartner, die ja arrivierte Händler bzw. Experten sind. Kurzum: E-Commerce-Anfänger würden sich wahrscheinlich eher „realistischere Beispiele“ wünschen (die „Amazon-Kelle“ hat auch nur einen begrenzten didaktischen Effekt), E-Commerce-Profis werden an vielen Stellen einfach weiterblättern.

Insgesamt hat mir das E-Commerce Buch sehr gut gefallen und ich kann und werde es sicherlich weiterempfehlen – meine Kritik daran ist Meckern auf hohem Niveau:  Wenn die Ansprache im Theorie vielleicht noch etwas einheitlicher gestaltet bzw. der Inhalt mit so interessanten Ideen wie dem Ampelprinzip des ersten Teils strukturiert würde, gibt’s auch eine 5-Sterne-Bewertung bei Amazon 😉

Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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