Jetzt ist es passiert, Krypto ist in diesem Blog angekommen. Gerade rechtzeitig bevor ich mich von unserem 11-Jährigen als Boomer beschimpfen lassen muss, habe ich die berühmte Zeit „zwischen den Jahren“ dazu genutzt, mich tiefer in die Materie einzuarbeiten und ein paar Überlegungen anzustellen.
Überblick
Zunächst eine kurze Ortsbestimmung: die Abkürzung NFT steht für non fungible token und bezeichnet damit vereinfacht gesagt ein digitales Objekt, das in einer Blockchain gespeichert wird, und zwar einzigartig und unveränderbar. Die Blockchain wiederum ist ein dezentrales Datenspeichersystem, das vielen wahrscheinlich von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum bekannt ist. Warum ist nun „einzigartig und unveränderbar“ so interessant? Nun, alle digitalen Daten, die uns täglich in vielen Geschmacksrichtungen umgeben – seien es Bilder, Texte, oder Musikdateien – sind beliebig oft kopier- und teilbar. Das bedeutet, sind Texte, Fotos, Lieder erst einmal in Bit und Bytes übersetzt und digital verfügbar, können sie überall und von jeder genutzt werden. Was unter anderem der Grund ist, warum Anfang der 2000er etwa in der Musikindustrie viel Angstschweiß produziert wurde, da Raubkopien auf Plattformen wie Napster die Runde machten und zu befürchten stand, dass niemand mehr Musik per LP, Kassette und CD würde kaufen wollen.
NFTs holen diese Einzigartigkeit in die digitale Welt zurück. Mit ihrer Hilfe können Künstler*Innen ihre Werke einzigartig machen und eine Knappheit erzeugen, die an die vordigitale Zeit erinnern, in der es ein bestimmtes Gemälde eben nur einmal und eine CD-Sonderedition nur ein paar Hundertmal gab. Damit werden digitale Artefakte handelbar, was auf Plattformen wie OpenSea rege geschieht, auf denen für teils unvorstellbare Summen Bilder von kiffenden Affen ver- und gekauft werden. Der Clou dabei: diese digitalen Artefakte wechseln nicht einfach nur für einen bestimmten, in Kryptowährung bezahlten Betrag die Besitzerin, sondern über sogenannte smart contracts lassen sich auch Bezahlmodelle integrieren, die eine Urheberin bei jeder Transaktion beteiligt.
E-Commerce
An dieser Stelle erklärt sich auch, warum ich die E-Commerce-Sicht auf NFTs interessant finde. Das Stichwort hier lautet „Transaktionen“: Güter wechseln ihren Besitzer und es findet eine Art von Ausgleich – eine Bezahlung – statt. Üblicherweise werden diese Transaktionen durch Shopsysteme organisiert, über deren Vielfalt wir schon so oft in diesem Blog berichtet haben. Bei NFTs läuft dieser Prozess jedoch anders. Krypto-Währung wechselt von einem Wallet – also einem Bitcoin- oder Ethereum-Portemonnaie – zum anderen, und die neuen Besitzverhältnisse des digitalen Guts werden direkt in der Blockchain gespeichert – maschinell, dezentral und irreversibel. Mit anderen Worten, Produkte lassen sich nicht zurückgeben, der Kauf lässt sich nicht anfechten. Oder anders ausgedrückt: Besitzer digitaler Katzenbilder werden ist wie – Achtung, Boomer-Metapher! – das format c bei MS-DOS.
Es stellen sich hier zwei Fragen: zum einen, handelt es sich beim aktuellen NFT-Boom um den Vorboten eines gänzlich anderen Distributionsmodells für digitale Güter? Und falls ja, welche Auswirkungen hat dies für „klassische“ E-Commerce-Systeme?
Was den ersten Punkt angeht, nehme ich tatsächlich einen mitreißenden Optimismus und eine Goldgräberstimmung für alles rund um NFTs in meiner eigenen Filterblase wahr. In vielen Fällen leicht an der eth-Namensendung und einem pixeligen Comic-Avatarbild bei Twitter & Co. zu erkennen, diskutieren Bekannte und Kolleg*Innen mittlerweile über die neusten Drops und Preissteigerungen von JPGs. Moxie Marlinspike, der Gründer von Signal, schreibt dazu:
It is, at the very least, something new on the nerd level – and that creates a space for creativity/exploration that is somewhat reminiscent of early internet days.
Mir stellt sich die Frage, ob die nach dem Corona-Boom-Jahr 2020 wahrgenommen zähere Entwicklung des E-Commerce in 2021 (mit unter anderem deutlichen Kursverlusten großer Infrastruktur-Anbieter und Händler*Innen besonders in den letzten Wochen) Wasser auf die hiesigen Krypto-Mühlen war. Wenn der klassische, zentralisiert organisierte digitale Handel des Web2 stagniert, sollte man nicht besser Teil der Web3-Avantgarde sein? Oder ist es bei NFTs nur FOMO hinsichtlich astronomischer Gewinn-Chancen, die selbst Tesla-artige Akienkurssprünge wie Sparbuchzinsen aussehen lassen?
Was die meisten klassischen E-Commerce-Systeme angeht, ist von einem besonderen Focus auf Krypto-Themen nichts zu sehen; lediglich Shopify hat jüngst ein entsprechendes NFT-Beta-Programm gestartet.
Ich jedenfalls freue mich auf eine facettenreiche Debatte zu dem Thema hier im Blog, auf Twitter oder wo auch sonst. Auf ein gutes, gesundes 2022!
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