27. Juli 2024

Von der Unsinnigkeit eines Multishop-Systems

Wer in den elektronischen Handel einsteigt und sich ein Shopsystem anschafft, denkt oftmals größer: Warum das Angebot nur auf ein einzelnes Land beschränken, wenn man global handeln kann? Darauf folgt die Feststellung: Ich schaffe mir am besten ein System an, bei dem sich über eine gemeinsame Oberfläche viele Untershops pflegen lassen. Die verschiedensten Produkte lassen sich somit in mehreren Sprachen anbieten, ohne dabei zigfach weitere Installationen der eigentlichen Software zu benötigen. Besonders Magento, als es vor gut 3 Jahren auf den Markt kam, warb vor allem damit, mit der Community Edition eine echte Multishop-Lösung zu präsentieren.

Nachdem ich in den letzten Jahren an verschiedensten E-Commerce-Projekten unterschiedlichster Größe mitwirken durfte, habe ich langsam aber sicher ein immer nüchterneres Verhältnis zum Thema Multishop entwickelt. Vor allem im Enterprise-Segment bringt die Entscheidung für ein zentrales System, über das sämtliche Online-Shop-Aktivitäten abgebildet werden, in der Regel mehr Probleme mit sich als durch sie behoben wird.

Nur ein einziges System! – Ja, aber nur ein einziges System!

Es klingt verlockend: Man beginnt, einen Webshop für seinen Stamm-Markt aufzubauen mit der Gewissheit, jederzeit per Mausklick einen weiteren Untershop erstellen zu können? Neues Land mit einer neuen Sprache? Kein Problem: Die entsprechenden Produktinformationen werden übersetzt, ebenso die Textbausteine des Shops, möglicherweise werden Steuer- und Versandberechnungen angepasst. Ohne auf einen Entwickler zu warten bzw. eine Agentur zu bezahlen, der oder die ein neues System für das neue Land installieren und einrichten müssen, lässt sich dies völlig in Eigenregie durchführen.

Sie ahnen es: So einfach wie es die Marketingversprechen der Systemanbieter vermuten lassen verhält es sich natürlich nicht. Gerade für multinationale Unternehmen, die ihr länderspezifisches Angebot über ein Multishopsystem abbilden möchten, ergeben sich in der Praxis weit mehr Anforderungen als das bloße Übersetzen von Textbausteinen und Produktbeschreibungen. Die Erfahrung zeigt, dass in den einzelnen Ländern oftmals gänzlich verschiedene Prozesse und Fallunterscheidungen greifen müssen, die sich sicherlich nicht mit ein paar Mausklicks abbilden lassen. Das zeigt sich auch in der Organisationsstruktur dieser Unternehmen: Würde eine zentralisierte Planung der globalen E-Commerce-Aktivitäten noch am ehesten dafür sprechen, ein zentrales System einzusetzen, sieht die Realität so aus, dass lokale “Fürsten” in Organisationsgebilde eigene Pläne verfolgen, Sonderwünsche entwickeln und damit das Multishopkonzept endgültig ad absurdum führen.

Um das noch deutlicher zu machen, hilft ein kurzer Abstecher in die Technik: Sagen wir, GlobalCorp. Inc. betreibt ein Magento-Multishopsystem mit zehn Untershops. Die Geschäfte laufen gut, GlobalCorp hat in eine hübsche Serverfarm investiert, um die steigende Last auf dem Grundsystem abzufangen. Und dann wird in einer der 15.000+ Dateien ein Zeichenfehler eingebaut, der beim Testen nicht auffiel. Die Folge: das gesamte System ist tot. Nicht, dass es nur lokalisiert in einigen Ländern Probleme gibt. Oder der Funktionsumfang nur eingeschränkt ist. Oder das System ein wenig langsamer ist als normal. Nein. Alle Besucher aller Länder werden bei GlobalCorp nichts mehr einkaufen können! Und wenn es sich nicht nur um ein schnell zu behebenden Zeichenfehler sondern um ein komplexes Software-Update handeln, lässt sich leicht vorstellen, dass nur extreme Gemütsmenschen in diesen Situationen die Ruhe und den Überblick bewahren.

Es handelt sich dabei um ein extrem riskantes Unterfangen: Mit jedem neuen, sogenannten Roll-Out in einen neuen Land steigt die Komplexität exponentiell an. Jede neue Änderung muss für jedes Szenario getestet werden. Hat man die Tests nicht automatisiert, wird man bald eine ganze Schar von Testing Engineers beschäftigen, die sich um nicht anderes als um die Qualitätssicherung kümmern müssen.

Und warum das Ganze?

Na, um alle Daten hübsch beieinander zu haben, werden Sie sagen. Der Produktkatalog lässt sich an zentraler Stelle pflegen, die Kundeninformationen liegen an einer Stelle und es lassen sich globale Auswertungen über Verkäufe aufrufen. Das klingt zunächst einleuchtend, hält aber den tatsächlichen Anforderungen der E-Commerce-Realität nicht stand: Üblicherweise werden Produktinformationen an anderer Stelle gepflegt und automatisiert in Shopsysteme importiert; ähnlich dazu werden Kundeninformationen in externen CRM-Systemen zentral gespeichert. Und sich nur wegen des Reportings das Multishop-Abenteuer zu begegnen klingt … nun ja … abenteuerlich!

Es ist 2011 und wir pflegen parallele Installationen der gleichen Software?!

Ja, warum nicht? Es ist ja nicht so, dass immer noch händisch Dateien kopiert und aktualisiert werden müssten und dies bei komplexen Systemen die Grenzen des Menschenmachbaren sprengen würde. Mittlerweile gibt es intelligente Mechanismen für das sogenannte Deployment, mit denen sich Systeme synchronisieren lassen können, sodass mit steigende Anzahl der parallel betriebenen Systeme der Aufwand nicht steigt.

Konkret könnte dies so aussehen: GlobalCorp installiert das Shopsystem seiner Wahl auf zehn verschiedenen Servern, jeweils einmal pro Land. Das Deployment wird so eingerichtet, dass das Grundsystem über die zehn parallelen Installationen synchronisiert werden kann und nicht muss, was ein wichtiger Grund für diese Strategie ist. Jedes GlobalCorp-Land kann nun seinen Shop nach seinen Wünschen anpassen, z.B. in puncto Steuerkonfiguration, Versand- und Bezahlmethoden sowie Produktdarstellung, ohne jemals Gefahr zu laufen, einen großen Gesamt-GlobalCorp-Multishop zu gefährden. Die zugrundeliegende Technik – bei unserem Beispiel gehen wir von einem Server pro Land aus – liefert dabei dediziert nur Anfragen aus dem jeweiligen Land aus, was das Skalieren des Hostings enorm erleichert, weil eben nicht das ganze hochkomplexe GlobalCorp-Multishop-Konstrukt unterstützt werden muss.

Produkdaten werden automatisiert importiert; ein Import-Skript wird nicht beleidigt den Zeigefinger heben, nur weil Sie es zehnmal parallel aufrufen, um die einzelnen Länder zu befüllen. Bewegungsdaten wie Kunden- und Bestelldaten werden regelmäßig exportiert und in einer zentralen Datenbank abgelegt, die losgelöst von den eigentlichen Shops existiert und dem Marketing sowie dem Reporting dient.

Am Ende

Es liegt mir fern, die Idee von Multishop-Software generell zu verurteilen. Es gibt sicherlich Szenarien, in denen der Betrieb einer gemeinsamen Plattform für verschiedene Sprachen und/oder Länder durchaus eine sinnvolle Alternative ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Steuerung des Shops sehr zentralisiert funktioniert und eine weitgehend homogene Organisationsstruktur vorherrscht, wie es bei vielen KMUs der Fall ist. Größere, multinationale Unternehmen hingegen könnten aber sicherlich von einer dezentraleren Lösung profitieren – ein Multishop-System ist nicht immer und überall sinnig.

(Bild: pexels.com)

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12 Antworten auf Von der Unsinnigkeit eines Multishop-Systems

  1. Stefan sagt: 30.05.11 um 07:56 Wir entwickeln seit 1997 Online Shops und ich kann dem Autor nur beipflichten. Multishop-Systeme sind meistens nicht praktikabel.Es entstehen hierbei auch meist höhere Folgekosten, da im Nachhinein die zuerst schön zentral aufgebaute Struktur durch alle möglichen länderspezifischen Sonderfälle wieder aufgebrochen wird.Es entsteht dann meist ein “zentrales” System, dass zu einem Code und Sonderfall-Monster mutiert, das nicht mehr skaliert.Hier sind Einzelsysteme für die jeweiligen Länder viel zielgerichteter.
  2. Matthias sagt: 30.05.11 um 09:28 Ich kann dem Autor hier ebenfalls zustimmen.
    In bestimmten Situationen macht es durch aus Sinn einen Multistore aufzusetzen.
    Wir haben dennoch die Erfahrung gemacht, das man häufig mit separaten Shop-Instanzen pro Land langfristig besser aufgestellt ist.
    Häufig unterscheiden sich, wie schon erwähnt, die Anforderungen in den einzelnen Ländern gravierend (Schnittstellen, MwSt., Rechtliche Anforderungen).
    Problematisch sind eben Store-spezifische Änderungen die u.U. zu Fehlern in allen Stores führen.
    Auch die Skalierbarkeit ist mit einzelnen Instanzen besser.
    Wir haben deshalb schon mehrfach eine Single-Store Lösung empfohlen und umgesetzt.
  3. Vinai sagt: 31.05.11 um 05:56 Ich kann dir nur zum Teil zustimmen, Roman.Vor den Massenmarkt Multishop-Systemen (i.e. Magento) habe ich einen nicht unerheblichen Teil meiner Brötchen mit dem integrieren von mehreren Single-Shop-Systemen verdient. Das hat die Betreiber einiges gekostet.
    Es besteht also meiner Erfahrung nach ein Bedarf, und das schon seit mindestens 2001 Was ich unterschreibe ist allerdings, daß es nicht mit ein paar Klicks getan ist. Egal ob neue Single-Store Instanz oder ein neuer Shop in einem Multi-Shop System, es erfordert viel Planung, Wissen und gute Vorbereitung, sowohl auf technischer als auch auf strategischer Seite.Bei sauberer Planung ist ein Multi-Shop System mit weniger Aufwand zu betreiben als einzelne, verteilte Systeme zusammen zu kitten.Reporting gehört sowieso ins ERP, oder sollte spezialisierten Tools wie Jirafe überlassen werden und nicht dem Shop-System.Was ich nicht sage ist das Magento die ideale Multi-Store Lösung ist. Bei mehr als 20-30 StoreViews skaliert Magento schwerfällig. Wer versucht 100+ Reseller-Shops auf Basis von StoreViews aufzusetzen wird Bauchschmerzen bekommen (ja, ich weiß das es trotzdem schon gemacht wurde). Es gibt zum Glück andere Wege so etwas zu bauen, auch mit Magento.
    Dazu müssen Entscheider (in IT und Projektleitung) natürlich gut Bescheid wissen, um begründete Entscheidungen treffen zu können, jenseits vom Marketing-Talk.Ich hoffe das anstatt Rückwärts zu gehen, hin zu Einzelsystemen, die Entwicklung zu besser skalierbaren Multi-Shop Systemen geht. Der Markt steht hier meiner Meinung nach erst am Anfang. Ein neues Shop-System mit besserer Multi-Shop Unterstützung hättet einen bedeutenden Vorteil im Kampf um Marktanteile.
  4. Helmut E. sagt: 31.05.11 um 23:57 Danke! Ein sehr hilfreicher Artikel und ein sehr hilfreicher Kommentar von Vinai.
  5. Michael Fürst sagt: 04.06.11 um 07:13 Guter Artikel, Roman und ich muss zu 100% zustimmen. Ich darf mehrere Unternehmen betreuen, die verschiedene Shopsysteme fahren.Dabei fehlt mir ein wichtiger Punkt bei Deiner Liste: Die Schnittstellen zu Master-Systemen wie ERP oder Warenwirtschaft. Bzw. was noch entscheidender ist: Der Weg der Daten von den ERP Systemen in die Shopsysteme.Hier gibt es zwischen den Mandanten / Ländern oft so gravierende Unterschiede in den Produktdaten oder der eingesetzten Software, das dies alleine schon die Vorteile eines Multi-Mandanten-Shops zunichte macht.
    • Karl Napp sagt: 29.11.12 um 10:32 Ich fahre gelegentlich ein Auto, wie kann man ein Shopsystem fahren ?
  6. Hagen sagt: 26.06.11 um 21:56 Hier kommt es sicher auf die Technologieauswahl an.
    Ich habe mehrere Jahre die strategische und operative Verantwortung eines Multi-Shopsystems gehabt. Da das Unternehmen mit mehreren Marken (und somit unterschiedlichen Zielgruppen) und mehrere Länder unterwegs ist, wäre für jede Marke und jedes Land ein eigenes System zu haben nicht nur ineffizient, sondern aufgrund der Komplexität einfach nicht praktikabel gewesen.
    Shop-Funktionalitäten, Konfiguration der Factfinder-Suche, Pflege von länderunabhängigen Produktdaten (Bilder,…) waren nur einmal nötig.
    Dazu kam, dass es in einem Land einen Markenübergreifenden Warenkorb gibt, d.h. die Frau kann auch was für den Mann mitbestellen und braucht nur einmal Versandkosten zu zahlen und nur einmal den Checkout zu durchlaufen.
    Dezentralität von Shopsystemen (eigene Länder-Systeme) konnte ich zudem im damaligen KarstadtQuelle (Arcandor-Konzern) zu Hauf sehen und es war an Ineffizienzen kaum zu überbieten.
    Alle landesunspezifischen Shopfunktionalitäten und Schnittstellen (z.B. Newsletter-Provider) müssen gewartet, aktualisiert und gepflegt werden.
    Im operativen Doing eine Katastrophe gegenüber einer Multistore-Lösung.
    Schaut man sich mal das Beispiel walz.de an:
    Fünf Marken in mehreren Ländern. Wer will denn jedes einzelne dieser Systeme als Einzelinstanzen pflegen und warten? Zudem gibt es Sortimente, die markenübergreifend eingesetzt werden. Als Multistore-System kein Problem. Die Meisten Länder werden zudem im Zuge der Direktlogistik aus Deutschland aus abgewickelt, es muss also nur einmal eine Schnittstelle zum ERP-System gebaut und gepflegt werden. Ich könnte hier unzählige Beispiele nennen, wo ich in großen Unternehmen erlebt habe, dass keine Multistore-Lösung schlicht und einfach unsinnig ist.
    Es kommt sicher auf das Geschäftsmodell, das Unternehmen und insbesondere die eingesetzte Technologie (kenne hier Magento nicht im Detail…) an. Für die Spezialversender und Universalversender für die ich tätig war, waren Einzel-Systeme für jedes Land und jede Marke einfach schädlich und die Versender, die eine Multistore-Lösung einsetzen, waren eindeutig die effizientesten und erfolgreichsten und schnellsten.
  7. Gordian Hense sagt: 22.03.12 um 10:02 Toller Artikel, dem ich voll zustimmen kann. Auch meine Erfahrungen mit Multistores sind ähnlich.Ich glaube aber auch, dass es schlicht eine Frage des Budgets und der Ziele ist, die ein Unternehmen anstrebt. An erster Stelle sollte ja ein Business-Plan mit einem Ziel stehen. Da kann ein Multistore Sinn machen, muss aber nicht. In der Summe sehe ich aber immer Vorteile bei Einzelshops mit zentralem ERP.
  8. Peter sagt: 22.04.13 um 03:43 2013 und die Grundaussage des Artikels ist nach wie vor korrekt. Auch die angesprochenen Probleme sind nach wie vor gültig. Eine Ideallösung gibt es auch nicht.Trotzdem hat die Multistore Funktion von Magento seinen Einsatzbereich auf Marketing-Ebene bspw. Nicht bei den großen aber bei vielen kleineren Händlern kann ein Multistore eine durchaus praktikable Lösung sein, wenn bspw. das eigene Sortiment nicht in einen einzigen Shop passen will und dennoch von einem einzigen “Lager” versendet werden soll.Auch um beispielsweise verschiedene Marken seines Sortiments entsprechend zu trennen und sei es nur der Optik wegen.Also pauschal zu sagen, dass Multishops böse sind ist falsch – sie haben Ihre Berechtigung aber eben nicht immer und überall – deshalb gibt es ja aber IT Experten die dafür bezahlt werden die bestmögliche Lösung für Kunden zu finden 
  9. Scotty sagt: 02.10.13 um 23:02 Hallo, ich möchte ein Shopsystem mit der Möglichkeit, anderen Künstlern das einstellen ihrer eigenen Produkte zu ermöglichen, die dann auch selbst versenden (Basis wie Dawanda). Ist der Multishop also nicht empfehlenswert und wenn nicht, wie sollte das sonst möglich sein? Ich kann doch nicht jeden in dem Shop werkeln lassen und auch die Zahlung soll ja dem Künstler direkt zugehen, er versendet auch selbst…Danke schon mal im Voraus
  10. Stephan sagt: 19.11.13 um 16:26 Ich halte weniger von Multishoplösungen, es sei denn die einzelnen Shops bewerben völlig unterschiedliche Produkte. Sitzt das System aber auf einer IP und ich denke mit verschiedenen Shops breiter gestreut aufzutreten ist das ein Trugschluß der mich auch meinen Index kosten kann..
  11. Walter Steinbach sagt: 08.05.14 um 15:49 Hallo,
    schoener Artikel! Zu einem Problem, welches als Nachteil von Multishops genannt wird, moechte ich eingehen:“Und dann wird in einer der 15.000+ Dateien ein Zeichenfehler eingebaut”Das Problem besteht aber auch bei einem zentralen Deployment auf verschiedene Systeme/Installationen.mfg. walter.

Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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