Bist Du schon Headless oder baust Du noch Templates?

Wenn man sich mal die Shopsystemhersteller-Meldungen der letzten Zeit anschaut, fällt vor allem ein Begriffs-Triple auf, das als die nächste strategische Idee gefeiert wird: , und . Gerade frisch von der Magento-Imagine etwa erreicht uns über fleißige Twitterer die Meldung, das Magento in Zukunft auch eine Headless-Lösung sein möchte, die in der Cloud läuft und nun auch einen GraphQL-Layer haben wird – ein weiterer Begriff, den man in der letzten Zeit öfter liest. Höchste Zeit, uns das genauer anzusehen.

Cloud

In verschiedenen Podcasts haben wir es schon angesprochen und uns amüsiert: Niemand scheint in diesen Tagen ohne das Wörtchen „Cloud“ auszukommen, genauer gesagt erleben wir gerade ein wahres Überangebot an „Commerce Clouds“: nach dem Kauf von Demandware bietet Salesforce eine Commerce Cloud an, Adobe nennt sein neues Produkt nach dem Kauf von Magento ebenfalls Commerce Cloud, Hybris firmiert nach dem Kauf durch SAP ebenfalls unter Commerce Cloud und Elastic Path … den Rest könnt Ihr Euch sicherlich denken. (Fast schon eine rühmliche Ausnahme in dieser Auflistung: Intershop nennt sein Cloud-Angebot immerhin Commerce-as-a-Service.)

Gut, könnte man jetzt denken, das ist einfach die technologische Evolution, heute möchte jeder modern sein und sich das Cloud-Label wie ein Gütesiegel anheften. Außerdem kann die Welt ja nichts dafür, dass sich in Marketing-Abteilungen eine derartige Langeweile und Wortarmut durchzusetzen scheint, dass keinem mehr originelle Produkt-Namen einfallen. (Oder wird das womöglich alles einer SEO-Räson geopfert?) Fakt ist aber, dass das alte Sprichwort „alter Wein in neuen Schläuchen“ hier besonders gut passt: Denn mitnichten wird hier Software so fundamental umgeschrieben, dass die klassischen Vorteile der Cloud – etwa automatische Skalierung – vollumfänglich genutzt werden können. Stattdessen werden klassische On-Premise-Lösungen dockerisiert, auf AWS, Azure oder GCE gehosted und als Cloud verkauft. Ist aber Quatsch, für diese Fälle gibt es den schönen und viel treffenderen Begriff ASP (Application Service Providing). Echte E-Commerce-Cloudlösungen wie commercetools oder Shopify sind einfach etwas anderes.

Headless

Auch das Wörtchen „headless“ geistert seit einigen Monaten durch die Shoptech-Berichterstattung – sowohl bei Shop- als auch bei Content-Management-Systemen. Wir erinnern uns: bei einem derartigen System fehlt die GUI, also etwa das Template-System für eine klassische Website. Alle Prozesse und die gesamte Business-Logik finden im Hintergrund statt, alle Daten werden über eine Schnittstelle bereitgestellt. Der Clou: mit einem derartige Setup ist es egal, ob der „Datenverbraucher“ eine klassische Webseite, eine PWA, eine native App, ein Voice-Skill oder ein Instagram-Feed ist. Solange alle nötigen Funktionen über eine gut dokumentierte API erreichbar sind, sind der Kreativität hin zur Kundenseite keine Grenzen gesetzt.

Und auch hier stürzen sich viele auf das Thema und positionieren sich mit ihrer klassischen Template- als Kopflos-Lösung. Denn wer eine API anbietet – darauf komme ich weiter unten noch im Detail zu sprechen – kann ja mit großer Geste bewerben, alle möglichen Frontends anbinden zu können. Dass die API möglicherweise nur einen Bruchteil der Shop-Funktionen anbietet und mitunter nicht ausreichend skaliert, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Es gibt allerdings – jedenfalls von außen betrachtet – die Strategie, komplett neue Lösungen aufzubauen, wie etwa Magento im Rahmen der Imagine2019 vorgestellt hat:

Was genau dahintersteckt weiß man noch nicht, es sieht aber zumindest in Teilen nach Neuentwicklung aus. Auch Shopware, so munkelt man, werde auf dem nächsten Shopware Community Day eine echte neue Headless-Lösung anbieten.

API

Last but not least, die API. Sie ist die Voraussetzung für alle möglichen Headless-Szenarien – wenn sie funktioniert und skaliert. Heutzutage findet sich kein Anbieter, der keine API mehr anbietet. Hier eine kleine, nicht erschöpfende Liste der Schnittstellen bzw. Schnittstellen-Initiativen bekannter Hersteller:

Mit anderen Worten: Jeder der bekannten Anbieter hat eine REST-API im Portfolio und spielt (jedenfalls theoretisch) im Headless-Spiel mit. Und nicht nur das: Immer mehr Anbieter erkennen die Vorteile von GraphQL:

Als neue Abfragesprache, ehemals von Facebook entwickelt und 2015 veröffentlicht, sorgt GraphQL dazu, Anfragen an APIs schlank zu halten und damit letztlich Traffic einsparen. Im Gegensatz zu einem klassischen REST-API-Request können Entwickler bestimmen, welche Felder bzw. Attribute sie zurückerhalten wollen und sogar mehrere Calls zusammenfassen – SQL-Statements auf API-Ebene sozusagen.

Was bedeutet das jetzt?

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: wie in so vielen Bereichen des B2B-Software-Marketings sind auch bei Shoptechnologien Worte nichts anderes als die oft zitierte Schall-Rauch-Kombination. Zwar gibt es immer wieder Versuche, Begrifflichkeiten zu standardisieren, wie etwa diese Definiton von Cloud zeigt, doch eine verbindliche, womöglich wissenschaftliche Terminologie gibt es nicht. Und selbst wenn bedeutet das noch nicht zwangsläufig, dass dies im Evaluations- und Einkaufsprozess eine größere Rolle spielen würde.

Bleibt also die alte Maxime: Augen auf beim Shoptech-Kauf!

(Bild: pexels.com)

Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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