25. November 2024

DIY-Software bei myToys, Thomann, Zalando & Co.

Letzte Woche hatte ich mir angeschaut (E-Commerce-Zwerge auf den Schultern von Riesen), wie Eigenentwicklung im E-Commerce-Umfeld vor allem bedeutet, Standardtechnologien etwa aus der Welt der Such-Infrastruktur sinnvoll zu kombinieren und per individuellem Code miteinander zu verweben. Um ein eher frühstücksinduziertes Bild zu benutzen: als Entwickler sorgt man im Vollkornbrot vor allem für den Teig zwischen den Sonnenblumenkernen.

Hier möchte ich mir einige Unternehmen genauer ansehen und untersuchen, wie große Händler und Markenhersteller sich bezüglich ihrer IT aufstellen und darüber öffentlich kommunizieren – etwa in Vorträgen auf Konferenzen oder in eigenen Developer-Blogs. Bei der Auswahl orientiere ich mich hauptsächlich an den Top 100 umsatzstärksten Onlineshops in Deutschland.

Amazon

Schon der erste Eintrag droht den Rahmen dieser kleinen, feinen Liste zu sprengen. Das Unternehmen aus Seattle hat quasi das Genre des „Händler-wird-zu-Tech-Unternehmen“ erfunden. Man schaue sich etwa an, was alleine die Tech-Tochter AWS zum Gesamtumsatz beiträgt. Stellvertretend für so viele Projekte, die man erwähnen müsste, hier die Keynote der letzten AWS re:Invent – knapp 3 Stunden Intensiv-Programm von und mit Amazons CTO Werner Vogels:

Interessant bei allem Technologie-Evangelismus und dem in vielen Bereichen marktführendem Service-Portfolio: Amazon selbst lässt sich gefühlt nicht gerne in die Karten sehen. Klar, es gibt ein sehr umfangreiches Developer-Blog über AWS, Alexa, Apps & Co. Aber Informationen darüber, wie etwa Amazon.com genau betrieben wird, sind sehr rar – abgesehen von den oft kolportierten 50 Millionen Deployments, den 2-Pizza-Teams und der Verwendung von Microservices, wie etwa in diesem Beitrag dargestellt.

Otto

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Das Entwickler-Blog von Otto: Tech-Artikel im Look eines Mode-Magazins

Der größte deutsche Versender ist mit seinen ganzen Marken und Investitionsvehikeln in punkto Shoptech an so vielen Fronten aktiv, dass auch hier ein Überblick schwer fällt. Lange Zeit war Otto ein wichtiger Intershop-Kunde, bevor die Hamburger sich mehr Flexibilität gewünscht und Anfang 2012 angefangen haben, ihre eigene E-Commerce-Software unter dem Namen Lhotse zu entwickeln. Diese wurde im Herbst 2013 in Betrieb genommen und steckt meines Wissen aktuell immer noch hinter otto.de.

Entwickler und Architekten von Otto und seinen Töchtern trifft man regelmäßig auf Konferenzen wie etwa den code.talks, wo sie oft detaillierte Einblicke in ihren jeweiligen Maschinenraum gewähren.

Indirekt ist Otto auch an zwei weiteren Technologie-Anbietern beteiligt: über seinen Company-Builder Project A hält man Anteile am PHP-E-Commerce-Framework Spryker, außerdem entwickelt der Fashion-Ableger ABOUT YOU seine eigene Handels-Software unter dem Namen Backbone, die mittlerweile ebenfalls an Drittanbieter vermarket wird.

Zalando

Der Mode-Händler aus Berlin ist so etwas wie das neue Poster-Child für DIY-E-Commerce-Software. In den ersten beiden Jahren seit Gründung 2008 experimentierte man viel mit dem gerade erschienenen Magento-Stack, musste aber aus Performance-Gründen allerlei Kniffe anwenden und hat sich dann letztlich für eine Eigenentwicklung entschieden. Mittlerweile arbeiten mehrere tausend Entwickler an der hauseigenen IT-Infrastruktur und die eingesetzten Technologien werden laufend evaluiert – nicht nur intern sondern auch zunehmend extern. Ähnlich wie bei Otto ist auch das Tech-Personal von Zalando gut auf internationalen IT-Konferenzen vertreten, das Unternehmen ist sehr transparent bezüglich der verwendeten Technologien, was sich unter anderem in diesem laufend aktualisierten Tech-Radar niederschlägt:

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Eine detaillierte Auflistung des kompletten Zalando-IT-Ökosystems

An Zalando kann man übrigens auch gut erkennen, was ein wichtiger Grund für diese Offenheit ist: es geht darum, möglichst gutes Personal zu gewinnen – an einem populären Standort wie Berlin sicher nicht ganz so einfach. Ein Indiz: das gut gefüllte und gepflegte Developer-Blog läuft unter der Sub-Domain „jobs“.

Thomann

Hand aufs Herz: In dieser Liste ist Thomann, bekannter und beliebter Musikalienversender, für mich der Überraschungskandidat. Zwar beobachte ich das Unternehmen schon seit einiger Zeit – auch als Kunde – aber mir war lange nicht klar, was sich in punkto Eigenentwicklung und Technologie-Kommunikation bei den Franken getan hat. Nicht nur gibt es einen schicken Webshop mit allerlei Gimmicks, sondern auch ein gut gefülltes Techblog.

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myToys

myToys aus Berlin hat sich ebenfalls für eine Eigenentwicklung entschieden. Der zur Otto-Gruppe gehörende Händler hat sich unter anderem für diesen Schritt entschieden, um das eigene Multi-Shop-Konzept flexibler umsetzen zu können. Konkret bedeutet das, dass vier unterschiedliche Shops mit komplett unterschiedlichen Katalogen – Spielzeug, Schuhe, Mode und Wohnen – angezeigt werden, die sich allerdings einen Warenkorb teilen und ebenfalls einen gemeinsamen Checkout-Prozess verwenden. Vor gut einem Jahr  hatten Martin und ich einen Podcast mit Steffen Heilmann von myToys (Bereichsleiter IT) aufgenommen, in dem Steffen im Detail über das Setup berichtete.

Technisch Interessierte finden auf dem myToys-DevBlog Informationen zu Themen, die die dortigen Entwickler derzeit umtreiben. Das Unternehmen ist ebenfalls des öfteren auf Konferenzen zu finden, wie beispielsweise dieser Mitschnitt vom letztjährigen code.talks commerce special in Berlin zeigt.

Breuninger

Selten wurde eine TWiST-Folge in diesem Blog öfter abgerufen als TWiST #99, in der es unter anderem über die Hintergründe zur neuen E-Commerce-Plattform des Mode-Händlers Breuninger in Österreich ging. Darin hatte wir ein Interview erwähnt, in dem zwei Software-Architekten über die technische Strategie sprechen: Migration weg von SAP Hybris, Aufbau eines verteilen Systems um mehr Flexibilität und Skalierbarkeit zu erreichen. Der Text ist leider nicht mehr online, wir hoffen aber, dass wir bald Gelegenheit haben, dort etwas mehr hinter die Kulissen schauen zu dürfen – vielleicht zum Deutschland-Start?

Notebooksbilliger und Alternate

Zum Ende dieses Beitrags möchte ich noch kurz zwei Anbieter erwähnen, die ihr Tech-Setup scheinbar nicht in der Öffentlichkeit diskutieren. notebooksbilliger.de setzt seit seinen Anfängen mit osCommerce und einem 1&1-Shop auf eine Eigenentwicklung. Auch Alternate, der aktuelle Platz 10 der Liste, hat mit über €400 Millionen Umsatz im Jahr 2016 offensichtlich ebenfalls eine Eigenentwicklung online. Im Gegensatz zu den anderen Unternehmen dieser Liste sind beide aber diesbezüglich nicht transparent (oder der Autor hat ziemlich große Tomaten auf den Augen): weder findet sich ein Developer-Blog, noch sind entsprechende Vorträge und Mitschnitte zu finden. Wer Tipps hat – gerne in die Kommentare damit.

Das Thema Eigenentwicklung wird uns sicher noch eine ganze Weile beschäftigen und wirft noch viele Fragen auf. Wie etwa: Welche Geschmacksrichtungen von Eigenentwicklungen gibt es überhaupt – zählt ein massiv erweitertes osCommerce bei reuter.de dazu? Lässt sich eine DIY-Strategie mit qualitativen Business-KPIs unterfüttern oder geht es am Ende vor allem Employer Branding? Und ist Tech-Evangelismus ein notwendiger Bestandteil jeder ambitionierten Wachstumsstrategie im Handel?

 

 


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Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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