Tech-Analyse: Wie präsentiert sich MediaSaturn online?

Seitdem in der letzten Woche in einer Nacht-und-Nebel-Aktion der Vorstand der Ceconomy AG – die abgespaltene Elektronikabteilung der Metro AG – freigestellt wurde, stehen die Marken MediaMarkt und Saturn stark in der Kritik. Europas größter Elektronikhändler tut sich schwer mit seinen Online-Geschäften – Grund genug für uns, die Technologie von saturn.de und mediamarkt.de genauer unter die Lupe zu nehmen und mit anderen Anbietern dieser Branche zu vergleichen.

Die Anfänge

Die Ursprünge von MediaSaturn liegen im klassischen Filialgeschäft. Die ersten Saturn-Märkte gab es schon Anfang der 60er-Jahre, mittlerweile sind es hierzulande knapp 160; der erste MediaMarkt öffnete 1979. Aktuell verkauft man seine Produkte in mehr als 260 Filialen in Deutschland. Für beide Marken arbeiten insgesamt 65.000 Mitarbeiter, bei einem Umsatz von 22 Milliarden Euro. Bis zum Mai diesen Jahres gehörte noch der Webshop redcoon.de zum Portfolio von MediaSaturn. Dieser wurde von einem früheren MediaSaturn-Manager 2003 gegründet und 2011 von der damaligen Metro AG für 125 Millionen Euro akquiriert. Mittlerweile ist der Shop “vollständig in mediamarkt.de integriert”, was man lesen kann, wenn man redcoon.de in die Browser-Adressleiste tippt. MediaSaturn startete 2005 mit mediaonline.de in sein Online-Geschäft und damit vier Jahre später als etwa notebooksbilliger.de. Das Angebot wurde  zwei Jahre später wieder eingestellt – über die Gründe kann man nur spekulieren. Scheinbar war es den unabhängigen Kaufleuten der MM-Filialen ein Dorn im Auge, Umsätze in Richtung Webshop abwandern zu sehen, der zentral aus dem Hauptquartier in Ingolstadt gesteuert wurde. Den aktuellen Shop von MediaMarkt gibt es seit 2010, mit einem sehr eingeschränkten Produkt-Portfolio, was ich damals im Artikel Mediamarkt – A Webshop Alibi schon angesprochen hatte. Bei Saturn kann man ab 2011 online einkaufen.

Innovations-Initiativen

Seit Sommer 2017 gibt es mit dem Retailtech Hub einen Accelerator, mit dem MediaSaturn, weitere Partner und eine Gruppe von Fachleuten bzw. Mentoren Startups im E-Commerce-Umfeld unterstützen. Auf der Liste der geförderten Unternehmen finden sich Spezialisten etwa für interaktive Videos, Augmented Reality, Blockchain und AI. Maßgeblich vorangetrieben werden diese und andere Initiativen vom Chief Innovation Officer (CINO) Martin Wild, der seinerzeit Home of Hardware gegründet hatte. Er ist unter anderem dafür verantwortlich, das Filialgeschäft aus- bzw. umzubauen und mit neuen Formaten zu experimentieren, etwa mit dem Saturn-Express-Shop ins Innsbruck oder dem Beratungs-Roboter Paul. Weitere Details zu seinem Aufgabengebiet verrät Martin auch in der 4. Episode des commercetomorrow-Podcasts.

Die Tech-Stacks

Schaut man sich die derzeitige Shops von MediaSaturn an, fällt auf, wie sehr sie sich gleichen. Beide basieren auf IBM Websphere, sozusagen einem Veteranen im E-Commerce-Plattform-Markt.

Ladezeiten

Bei den technischen Daten interessieren uns zunächst die Ladezeiten. Bei MediaMarkt und Saturn liegt die Ladezeit (DOM Content Loaded) bei durchschnittlichen 2,3 Sekunden mobil und 1,4 Sekunden für Desktop. Bei bei den Mitbewerbern sieht das ähnlich aus: Notebooksbilliger (mobil 2,7 – Desktop 1,6), Cyberport (mobil 2,6 – Desktop 1,4) und Medimax (mobil 2,2 – Desktop 1,8s). Gehostet wird bei der Media-Saturn IT-Services in Ingolstadt, die IPs beider Shops liegen im gleichen Adressbereich.

Desktop-Layout

Ladezeiten gleich, Hosting gleich – auch beim grafischen Aufbau ähneln sich die beiden Schwesternshops sehr. Während bei MediaMarkt in der Desktop-Variante das Hauptmenü vertikal angelegt ist, entscheidet man sich bei Saturn für die horizontale Version. Bei beiden ist die Suche oben in der Mitte zu finden, es gibt eine Auto-Suggest-Funktion und die Ergebnisse lassen sich durch verschiedene Filter eingrenzen. Dabei scheint kein kommerzielles Produkt zum Einsatz zu kommen, sondern man greift wahrscheinlich zur Produktindizierung und -suche auf Solr oder Elasticsearch zurück.
Suchergebnisse bei Saturn
Bereits auf der Startseite werden Kunden beider Shops von großflächigen Bannern begrüßt, die neue Produkte und besondere Aktionen bewerben. Unweigerlich fühlt man sich an die großformatigen Hochglanzprospekte erinnert, mit denen die Unternehmen seit jeher auf sich aufmerksam machen.
Preisdarstellung Mediamarkt
Preisdarstellung Saturn
Die Produktdetailseiten ähneln sich ebenfalls sehr, bis hin zu einem Detail wie der Preisinformation, die von rechts nach links springt, wenn Benutzer weiter nach unten scrollen. Das alles lässt darauf schließen, dass MediaSaturn hier einen Mehrmarken-Shop im Betrieb hat, der entsprechend der jeweiligen CI anders gestaltet ist.

Mobiles Layout

Beide Seiten sind auch über mobile Geräte gut nutzbar. Sie sind responsive aufgebaut bis zu einer Tablet-Auflösung. Für Smartphones gibt es offensichtlich noch ein Extra-Stylesheet, das die Inhalte für die entsprechende Auflösung bereitstellt.
iOS-App von Mediamarkt
Dazu leisten sich beide Marken eigene native Apps für iOS und Android. Diese enthalten neben Suche und Einkaufsmöglichkeiten noch ein Kundenkartenprogramm und die Möglichkeit, sich über Push-Notifications über Lieferungen informieren zu lassen. Wenig überraschend: bezüglich Strukturierung und Funktionalität unterscheiden sich die Apps der beiden Marken nur minimal.

Checkout

Wie erwähnt hat MediaSaturn seine Wurzeln im stationären Handel, wenig überraschend wird daher bei der Produktbestellung auch die Verfügbarkeit in einer ausgewählten Filiale angezeigt. Dazu trägt man seine Postleitzahl ein, das System schlägt Märkte in der Nähe vor und zeigt an, ob das gewünschte Produkt vor Ort vorhanden ist.  Laut den Unterlagen von Ceconomy nutzen auch etwas mehr als 40% der Kunden diese Funktion. Bei der Bestellung entscheiden Kunden dann, ob sie tatsächlich das Produkt in den Markt bestellen und dort auch bezahlen möchten, oder ob die Bestellung an ihre eigene Adresse gehen soll. Bei der Eingabe der Adressdaten ist das System übrigens nicht zimperlich, Bestellungen lassen sich mit sofort erkennbaren “Quatschdaten” ohne Probleme durchführen.
Checkout
Der gesamte Bestellprozess – mittlerweile nicht mehr überraschend  – ist sowohl bei MediaMarkt als auch bei Saturn identisch, vom Design einmal abgesehen.

Satellitenangebote

Interessant ist, dass MediaSaturn begleitende Angebote in Form paralleler Websites macht, etwa im Bereich Handytarife. Unter den Subdomains handytarife.saturn.de bzw. tarife.mediamarkt.de laufen separate Websites, über die man mobile Geräte samt Verträgen kaufen kann. Diese Seiten sind im selben Look and Feel aufgebaut, laufen allerdings nicht auf IBM Websphere, sondern scheinbar auf einer Whitelabel-Lösung eines Unternehmens namens s-kon-Gruppe. Das ist laut Website ein Vertriebsunternehmen, das für MediaSaturn den Tarif-Bereich abdeckt und dazu offensichtlich eine eigenständige technische Plattform anbietet.
Separate Seite: Die Tarifwelt von Mediamarkt
Von der vertrieblichen Seite abgesehen ist solch eine Konstruktion technisch natürlich interessant und man kann sich die Frage nach dem “warum” stellen. Immerhin leistet man sich ein Extra-System, das parallel zum Hauptsystem läuft, inklusive eigenem Checkout-Prozess und sicherlich eigener Datenhaltung. Das neue System will gewartet, betrieben und weiterentwickelt werden, außerdem entsteht ein Informationssilo: Falls MediaSaturn die Bestelldaten seiner Handyvertragskunden auch in seinem Hauptshop nutzen möchte, muss es eine Datensynchronisierung inkl. Dublettenprüfung etc. geben. Den Geschwindigkeitsvorteil, den großen IBM-Monolithen nicht noch durch eine spezielle Handyvertragskonfigurationslogik aufwändig erweitern zu müssen, erkauft man sich mit dem Verwalten eines Satellitenangebots.
Einkaufsberater bei MediaMarkt: Mit ein paar Antworten zum passenden Notebook
Das Thema Software im Parallelbetrieb gilt im übrigen nicht nur für Handytarife. MediaSaturn präsentiert verschiedene Kaufberater, etwa zum Thema Notebooks. Bei MediaMarkt beantworten Kunden einige Fragen zum gewünschten Nutzung und das System schlägt die passenden Produkte vor. Das geschieht ebenfalls in einem separaten Teil der Websites. Während bei MediaMarkt lediglich eine leicht veränderte Domain und ein anderes Layout auf einen Satelliten hinweisen, ist die PC-Beratung bei Saturn komplett ausgelagert und präsentiert sich in einem vollständig anderen Design. Und ähnlich wie der Online-Buchhandel, den wir uns vor zwei Wochen angeschaut haben, bietet MediaSaturn seinen Kunden zusätzliche Informationsangebote in Form von externen Webseiten, etwa zu Themen wie Kochen, Spielen oder SmartHome, dort kommen unter anderem CM-Systeme wie WordPress oder Typo3 zum Einsatz. Durch den Einsatz der verschiedenen Systeme wird eine zusätzliche Komplexität aufgebaut, welche sicherlich zu einem höheren Wartungsaufwand führt, z.B. für Updates, verschiedene Plugins, etc.

Weitere Kanäle

Zum Abschluss dieser Analyse werfen wir einen kurzen Blick auf die Social-Media-Kanäle. Mit jeweils 1,8 Millionen Followern liegen beide Marken bei Facebook gleich auf, beide veröffentlichen Content-Schnipsel zu aktuellen Events sowie Links zu Produkten in den jeweiligen Shops. Bei Instagram hat Mediamarkt Deutschland mit knapp 50.000 Followern die Nase vorn und zeigt hochwertig inszenierte Bilder seiner Produkte, bei Saturn sind es knapp die Hälfte, dort werden auch kleinere Videos gezeigt. Beide nutzen noch nicht die Möglichkeit, Produkte direkt in den einzelnen Beiträgen zu taggen. Bei Twitter liegt Saturn mit 200.000 Followern vorn und verlinkt vor allem Produkttests, Mediamarkt nutzt seinen 50.000-Follower-Account vornehmlich als Kundenservice-Tool. Skills für Voice Devices konnten wir weder für MediaMarkt noch für Saturn finden.

Fazit

MediaMarkt und Saturn sind zwei Marken, die sich zumindest online sehr ähnlich präsentieren und erkennbar die gleiche Technologien verwenden. Diese Strategie ist sicherlich der historischen Entwicklung geschuldet und hat offline wohl durchaus seinen Sinn – mit den Saturn-Märkten im innerstädtischen Bereich und den Mediamärkten auf der “grünen Wiese”. Im technischen Kontext führt dieses Vorgehen jedoch zu mehr Komplexität. Als Kernsoftware kommt bei MediaSaturn IBM Websphere zum Einsatz, das vom Unternehmen selbst auf eigenen Servern betrieben wird. Bei zwei Millionen monatlichen Online-Visits bei Saturn bzw. 3,7 bei MediaMarkt (Zahlen von Similarweb, wie immer mit Vorsicht zu genießen) ist bzw. war die Wahl eines Enterprise-Systems durchaus nachvollziehbar. Die Shops sind solide gemacht, durchschnittlich schnell und tragen auch den Bedürfnissen der mobilen Kundschaft Rechnung. Ebenso unterstützen sie die Omnichannel-Strategie von Ceconomy mit Online-Verfügbarkeitsabfrage sowie Click and Collect. Jedoch, man braucht nicht lange zu suchen um zu sehen, welche Nachteile das Verwenden eines solchen Software-Monolithen mit sich bringt. Während nämlich IBM die Kernprozesse abbildet, sind die Zusatzangebote davon entkoppelt und werden sozusagen als Satelliten betrieben, die um das Kernsystem herum kreisen und mehr oder weniger eng daran gekoppelt sind. Bewegt man sich durch die Seite, kann man fast die Geräusche hören, die dieser Software-Zoo verursacht, ebenso wie die verzweifelten Schreie des IT-Personals, das dieses ganze Stack zusammenhalten muss. Hier zeigt sich, wie eine tief integrierte Software-Blackbox Innovationen ausbremsen kann – was nicht zuletzt dem CINO Martin Wild nicht gefallen dürfte. Aber auch wenn man auf verteilte Systeme setzt, auf Schnittstellen aufbaut und somit strukturell agiler unterwegs sein kann – siehe etwa home24 bei einer unserer früheren Analysen – bedeutet das nicht automatisch, dass man sich zur Kundenseite hin innovativ zeigt. Bei aller Technik, letztlich entscheidet das Geschäftsmodell und die Experimentierfreude darüber, ob man mit den steigenden Kundenanforderungen Schritt halten kann – oder eben nicht.

Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

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