Technik-Analyse: Hinter den Kulissen von home24

Nachdem uns in der letzten Woche unsere Analyse von douglas.de einen Blog-Besucherrekord beschert hat, schauen wir uns heute den Möbelmarkt an, genauer gesagt home24 aus Berlin. Laut eigenen Angaben hat das Unternehmen derzeit 1,2 Millionen aktive Kunden, 800.000 Bestellungen pro Halbjahr und einen mittleren Warenkorb von ungefähr 270 Euro. Interessant ist der Eigenmarkenanteil am Umsatz von 56%, was aus dem Händler fast schon einen Hersteller macht. Im Angebot von home24 befinden sich derzeit rund 100.000 Artikel. Als Pureplayer konzentriert sich das Unternehmen auf den Online-Verkauf, zusätzlich dazu betreibt es aber auch noch insgesamt 11 Showrooms und Outlet-Stores in der DACH-Region.

home24 ist vor knapp drei Monaten an die Börse gegangen und macht derzeit bei Exciting Commerce wegen der bedenklichen Halbjahreszahlen und technisch-organisatorischen Problemen im Hintergrund Schlagzeilen (Was Home24 beim Börsengang alles verschwiegen hat). Hier wollen wir einen Blick auf das home24-Online-Portfolio werfen und die Technik im Hintergrund genauer analysieren. Um besser vergleichen zu können, betrachten wir parallel den Anbieter Wayfair, der seit 2009 mit einem ähnlichen Modell auf dem deutschen Markt aktiv ist, und, weil’so schön ist, den Hot-Dog- und Roggenbrot-Experten IKEA.

Die Anfänge

Das Unternehmen aus der Rocket-Internet-Schmiede sieht sich als einer der führenden Online-Pureplayer im Segment Home & Living, ist seit 2012 online und macht mittlerweile einen Umsatz von knapp 280 Millionen Euro (Wikipedia) in sieben europäischen Ländern sowie in Brasilien. Zu Beginn als Nischen-Shop auf Magento gestartet, hat man sich früh für die Migration auf eine Eigenentwicklung entschieden, sehr wahrscheinlich aus Gründen der mangelnden Performance. Damit ist home24 in guter Gesellschaft, auch Zalando ist diesen Weg seinerzeit gegangen (Wie viel Magento steckt noch in Zalando?), weil sie selbst mit einem massiven Einsatz von Server-Blech dem massiven Besucheransturm nicht mehr Herr werden konnten. Scheinbar gab es in diesem Zusammenhang bei home24 Probleme mit dem ERP-System, genauer gesagt beim Wechsel von Navision zu SAP (siehe auch diese Podcast-Episode von Deutsche Startups). Das Thema ERP findet sich auch an mehreren Stellen im oben erwähnten Bericht zu den Halbjahreszahlen, hier ist von der “Einführung eines skalierbaren ERPs” oder auch “temporär notwendige parallele Betrieb zweier ERP-Systeme” die Rede.

Aktueller Tech-Stack

Abgesehen vom ERP setzt home24 bei seiner E-Commerce-Plattform auf Eigenentwicklungen:

Durch eine moderne, skalierbare IT-Plattform, die neben Websites und nativer Apps auch modernste Anwendungen zur umfangreichen Datenanalyse umfasst, die auf selbst entwickelter Software basieren, kann home24 maßgeschneiderte Marketingmaßnahmen initiieren und sein Produktangebot laufend anpassen und verbessern.

Das Unternehmen ist bezüglich der verwendeten Technologien sehr transparent und veröffentlicht regelmäßig Artikel zu entwicklungsnahen Themen in seinem Tech-Blog. Dort erfahren interessierte Leser etwa, wie home24 den alten Software-Monolithen Magento ersetzt und eine serviceorientierte Infrastruktur aufgebaut hat, die über APIs kommuniziert (Monolith to API Gateway – How we migrated our API). In diesem Artikel beschreibt der Autor auch, wie das Unternehmen das Hosting bei AWS (Amazon Web Services) angeht. Wayfair setzt ebenfalls auf eine Eigenentwicklung, IKEA vertraut schon seit längerer Zeit auf IBM Websphere.

Ladezeiten

Der Desktop-Shop von home24 liegt bei den Ladezeiten (DCL) mit 2s (Desktop) und 2,9 (mobil) eher im durchschnittlichen Bereich. Im Vergleich dazu sind IKEA (Desktop: 1,8s, mobil: 1,4s), Wayfair (Desktop: 1,3s, mobil: 1,2) um einiges schneller.  

Grafischer Aufbau

Auf home24.de blickt den Besuchern ein Webshop im klassischen Look and Feel entgegen, mit einem 1000px breiten und zentrierten Hauptbereich, einem horizontal und vertikal angeordneten Kategoriebaum sowie einem zentrierten Suchfenster. Die einzelnen Ländershops – etwa home24.fr – sind grafisch exakt gleich aufgebaut und haben auch den gleichen Bestell-Workflow.

Im Unterschied dazu ist Wayfair grafisch gesehen etwas “lauter” unterwegs. Der Shop erstreckt sich über die gesamte Seitenbreite und wirbt auf der Startseite mit großen Schlussverkauf-Bannern. IKEA hingegen wirkt wie ein Sammelsurium unterschiedlicher Styles, angefangen von einer Kategoriestruktur, die wie das alte Yahoo! aussieht, hin zu ordentlich bebilderten Kategorieübersichtsseiten. Das lässt erahnen, dass sich dahinter neben IBM Websphere ein ordentliches Sammelsurium weiterer Anwendungen und Services verbirgt.

Ingenieurs-Optik bei IKEA

Suche & Facettierung

Neben den Kategorien ist üblicherweise die Suche der wichtigste Startpunkt für eine Produktrecherche. Die Suche von home24 erfasst Treffer in Produktnamen und Kategorien, sie werden in einem Autocomplete angezeigt. Benutzer können die Ergebnisse vielfältig etwa nach Farbe, Preis und Lieferzeit filtern und sortieren. Die komplette Funktionalität scheint eine Eigenentwicklung zu sein, ein externer Suchanbieter ist nicht zu erkennen.

Filterbare Suchergebnisse

Ähnlich funktioniert das bei IKEA und Wayfair, wobei letztere zusätzlich noch eine Bildsuche integriert haben: Rufen Kunden die Wayfair-Seite mobil auf, können sie ein Bild hochladen und die Produktdaten per Bilderkennung nach ähnlichen Produkten durchsuchen lassen. Dazu ist keine native App erforderlich, der Zugriff auf die Fotogalerie bzw. die Kamera erfolgt ganz normal über den mobilen Browser. Außerdem kommt ein Service-Worker zum Einsatz, die Grundlage einer PWA (Progressive Web App) ist damit geschaffen. Damit könnte Wayfair in Zukunft auch im mobilen Browser Inhalte zwischenspeichern und Push-Notifications verschicken.

Checkout

Die Bestellung bei home24 funktioniert über einen mehrschrittigen Checkout, den man so oder so ähnlich in vielen anderen klassischen Desktop-Shops sehen kann. Als Zusatzfunktion lässt sich bei vielen Produkten ein Aufbauservice buchen – was in dieser Kategorie sicherlich sinnvoll ist. Bei Wayfair ist dies ähnlich, es ist allerdings der einzige Anbieter im Test, der auch tatsächlich Postleitzahl gegen Wohnort validiert – bei den anderen funktionierte „12345 Musterstadt“ ohne Probleme.

IKEA setzt ebenfalls auf Standards, bindet aber im Gegensatz zu den beiden Pureplayern im Feld auch die stationären Filialen mit ein, sprich: Kunden sehen auf der Produktdetailseite bereits die Verfügbarkeit, sie können ebenfalls direkt via Click & Collect in diese Filialen liefern lassen. Im Test konnten wir den ziemlich komplexen Checkout jedoch nicht komplett durchlaufen, IKEA verwies uns wegen nicht funktionierender Lieferzeitberechnung auf ein E-Mail-Kontaktformular – eine Onlineumsatzvermeidungsstrategie?

Mobil

Der home24-Shop ist für Smartphones und Tablets optimiert, ist jedoch nicht im responsiven sondern im adaptiven Design erstellt worden. Sprich, es gibt bestimmte Bildschirmgrößen, bei denen fix ein eigenes Stylesheet ausgeliefert wird. Außerdem bietet home24 native Shopping-Apps jeweils für iOS und Android an. Diese bilden die normalen Funktionen des Webshops ab, bieten keine weiteren Funktionen an und wirken ingesamt eher uninspiriert (und uninspirierend).

IKEA geht bezüglich des Webshops einen ähnlichen Weg und optimiert ihn ebenfalls nach den Regeln des adaptiven Designs für mobile Geräte. Eine native Shopping-App sucht man vergebens, Kunden können lediglich eine Art Einkaufsbegleiter für den stationären Kauf sowie den digitalisierten Katalog aus den jeweiligen App-Stores laden. Dafür warten die Schweden mit der sogenannten Place-App auf, mit deren Hilfe Kunden in einer Augmented-Reality-Anwendung 3D-Modelle von IKEA-Produkten virtuell in den eigenen vier Wänden platzieren.

Wayfair schließlich hat sich für eine responsive Seite entschieden, die die Inhalte je nach Kontext vergrößert oder verkleinert. Eine AR-Funktionalität greift der Händler in seinen iOS- und Android-Apps ebenfalls auf, steckt aber in puncto Funktionsumfang, Bedienbarkeit und Gestaltung  im Vergleich zu IKEA noch in den Kinderschuhen.

AR-Raumplanung in der Wayfair-App

Weitere Kanäle

Zum Abschluss ein kurzer Blick auf die Aktivitäten in den Sozialen Netzwerken. Bei Facebook kommt home24 auf knapp 230.000 Fans, veröffentlicht regelmäßig kleiner Videos, inhaltliche Beiträge und verlinkt teilweise direkt auf Artikel, die dann im Shop gekauft werden können.

Getaggte Produkte bei Facebook

Der Mitbewerber Wayfair handhabt das ganz ähnlich, kommt allerdings auf stolze 6,7 Millionen Facebook-Fans. Zusätzlich probiert sich der Anbieter noch an einem Facebook-Shop, darin sind allerdings nur fünf Artikel mit teilweise sehr zweifelhaften Preisen zu finden.

Merkwürdigkeiten im Facebook-Shop von Wayfair

IKEA Deutschland liegt mit 27 Millionen Abonnenten unangefochten auf Platz 1, spart sich aber bislang das Taggen von Produkten und postet stattdessen kleiner Content-Schnipsel und Verweise auf den Webshop.

Auf Instagram kommt home24 auf 45.000 Abonnenten, hat seine Produkte dort “vertaggt” und leitet Interessenten nach einem Tap auf das Shopping-Symbol auf den eigenen Shop – zu dem Thema Social Commerce haben wir uns hier im Blog des öfteren unterhalten. Wayfair macht das genauso, hat allerdings mit seinem deutschsprachigen Account dort nur 14.500 Follower. Auch IKEA Deutschland ist auf Instagram aktiv, mit insgesamt 663.000 Abonnenten und ebenfalls einkaufbaren Produkten.

Fazit

Auf den ersten Blick hat home24 technisch vieles so gemacht, wie man es heute von einem modernen, online-orientierten Händler erwarten würde: eine starre, monolithische Lösung durch Services ersetzt, sich auf eine API-Ansatz konzentriert und die Vorteile einer Public Cloud genutzt. Dazu ein Frontend mit einem modernen JS-Framework und ein Team, das auch nach außen hin transparent kommuniziert – eigentlich alles gute Nachrichten. Nur: von außen sieht man davon nicht viel. home24 betreibt einen ganz normalen, leidlich schnellen Webshop, der mobil optimiert ist und bietet eine native App ohne besondere Extras an. Scheinbar sind die Teams so damit beschäftigt, dem leidigen Thema ERP Herr zu werden und das Bestellsystem zu skalieren, dass nicht mehr viel Energie bleibt für Neues. Das ist deswegen besonders bitter, weil augenscheinlich eine Plattform geschaffen wurde, die gemacht ist für das Ausprobieren neuer Services und das schnelle Iterieren. Ganz im Gegensatz übrigens zum Stack hinter Douglas, das wir letzte Woche besprochen hatten.

Gerade beim für diese Branche so wichtigen Thema AR liegt home24 weit hinter dem Mitbewerber Wayfair zurück – interessant vor allem auch deswegen, weil die Anfänge beider Unternehmen in die gleiche Zeit fallen, und auch das Ursprungsgeschäft Nischenshops (CSN Stores bei Wayfair bzw. FP Commerce bei home24) sich sehr ähnelt.

Es bleibt abzuwarten, ob das leidige Thema ERP so gelöst werden kann, dass sich home24 endlich das konzentrieren kann, auf das es letztlich immer ankommt: dem Liefern von Mehrwert für den Kunden.

Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

Alle Beiträge ansehen von Roman Zenner (ShopTechBlog) →