desperate evicted male entrepreneur standing near window

ShopTech in E-Commerce-Krisenzeiten?

Der E-Commerce wird gerade geprügelt. Krieg in der Ukraine, Inflation, Energiekrise, die Folgen des Klimawandels – dies sind nur einige der Faktoren, die Händler:innen, Dienstleistende und Shoptech-Plattformen in diesem Jahr tüchtig die Laune verderben. Trefflich lässt sich darüber streiten, ob die niedrigen Aktienkurse börsennotierter Tech-Unternehmen gerechtfertigt sind oder nicht und wann denn möglicherweise ein Aufschwung zu erwarten ist. Aber ohne Übertreibung kann man formulieren: die Stimmung war schon einmal besser. Erheblich sogar.

Für mich selbst ist das eine ganz neue Situation. Seit den mehr als 20 Jahren, in denen ich in verschiedenen Rollen im E-Commerce unterwegs bin, war der Wachstum des digitalen Handels immer der Default. Alles wächst online, in die langweiligen Kaufhäuser in der Innenstadt mag keiner mehr gehen, hihihi. Letzteres hat sich – wie man auch an der erneuten Krise der Zombi-gleichen Galeria Kaufhof sehen kann – schon irgendwie bewahrheitet, aber das Selbstverständliche des Erfolgs digitaler Modelle ist dahin. Hatte man sich auf Branchen-Events wie etwa der K5 in den letzten Jahren immer gegenseitig auf die Schultern geklopft und das Hockeystick-Wachstum auf den Vortragsfolien gefeiert, herrschte in diesem Jahr vor allem Ratlosigkeit. Das ist umso bitterer, als besonders im ersten Pandemie-Jahr 2020 Shoptech-Unternehmen und Berater:innen alles über Nacht digitalisiert haben, was das Faxgerät nicht schnell genug ausschalten konnte – und die Online-Umsätze umso mehr gesprudelt sind.

Was ist der ShopTech-Pitch der Stunde?

In einer wachstumsverwöhnten ShopTech-Branche ist es vergleichsweise einfach, bei Marken und Händler:innen Begehrlichkeiten zu wecken, um etwa neue Shop-, ERP-, Search-, Recommendation-Systeme und andere Technologien und Plattformen zu verkaufen. Das Geschäftsmodell von morgen braucht eine flexible System-Architektur. Die Expansion in neue Märkte braucht saubere Daten. Legacy-Systeme werden zur Bedrohung, weil neue Geschäftsfelder nicht schnell genug erschlossen und stattdessen von Mitbewerber:innen besetzt werden – „innovate or die“, um mal das Lieblingszitat eines bekannten Shopsystem-Herstellers zu bemühen. Das ist der fruchtbare Boden, auf dem in den letzten Jahren das ganze MACH- und Composable-Commerce-Narrativ gedeihen konnte.

Wie sinnvoll diese Art von Architektur und Technologie im Einzelfall tatsächlich ist, wurde schon oft diskutiert. An dieser Stelle geht es mir aber um die Frage: Kann das so bleiben? Agiert die Branche weiter wie bisher? Ist das Narrativ von Zukunftsorientierung und Innovation genau das, was Marken und Händler:innen im Herbst 2022 am meisten interessiert? Wie gut verfangen Verkaufsgespräche, in denen es um die Einbindung neuer Touchpoints geht?

Meine Vermutung ist eher, dass es derzeit vor allem um Kosteneinsparung und Umsatzstabilisierung geht. Investitionen, die jetzt anstehen, weil die alten Systeme abgeschrieben sind, werden vermutlich pausiert und nach hinten geschoben. Angesichts einer ungewissen Zukunft rücken TCO-Betrachtungen wieder in den Vordergrund, um Ressourcen zu sparen. Ähnliches gilt für den Ausbau eigener Tech-Teams: Ist man in der glücklichen Lage, nicht sogar Mitarbeiter:innen entlassen zu müssen, wird man dabei deutlich vorsichtiger vorgehen.

Wie nehmt ihr das wahr?

Die richtige Antwort wird wohl wie immer lauten: Es kommt darauf an. Mir scheint es weder sinnvoll, den gesamten Markt über einen Kamm zu scheren noch hilft es, in zukunftspessimistische Schockstarre zu verfallen. Deshalb würde ich mich über eure Einschätzung freuen: was beobachtet ihr derzeit?

Roman Zenner (ShopTechBlog)

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit E-Commerce-Technologie und gehe hier im Blog der Frage nach, mit welchen Systemen Marken und Händler:innen ihr Online-Geschäft abbilden.

Alle Beiträge ansehen von Roman Zenner (ShopTechBlog) →